Der Rauswurf, RBB-Doku

Kritische Anmerkungen von Irena Kukutz

»Der Rauswurf« – Tagebuch einer Unbequemen, Dokumentarfilm des RBB von Gabriele Denecke, 2013

Meine Befürchtungen waren berechtigt, aber anders als ich dachte. Entgegen der Ankündigungen, die hoffen ließen, dass die Filmemacherin der Intention des »Englischen Tagebuches 1988« von Bärbel Bohley folgen würde, sehe ich den bebilderten Reisebericht, der, wie Kritiker treffend anmerken, wie ein »Roadmovie« arrangiert wurde. Die lautstarke rockige musikalische Begleitung verstärkt diesen Eindruck. Chronologisch folgt der Zuschauer den Stationen der erzwungenen Reise: Stasigefängnis, Westdeutschland, England, Italien, Wiedereinreise in die DDR. Unterbrochen von den Erzählungen der sechs Zeitzeugen. Besonders oft kommt der Reisebegleiter Bärbel Bohleys Werner Fischer zu Wort. »Mein staatlich verordneter Lebensgefährte« wie sie ihn ironisch bezeichnete. Sein Kommentar führt durch den ganzen Film. Seine Erinnerungen bekommen mehr Gewicht, als die im »Englischen Tagebuch« dokumentierten und im Film eingesprochenen Tagebuchaufzeichnungen von Bärbel Bohley. Sie dienen auf diese Weise eingesetzt, letztlich der Untermalung. Warum sehe ich dadurch etwas Entscheidendes verloren gehen, welches das »Tagebuch der Unbequemen«, so immerhin der Titel des Films, in sich birgt?

Von mir erwartet und gewünscht war nicht nur eine sehenswerte lebendige Geschichte, die inspiriert und nachdenklich macht, sondern die auch versucht nachträglich ein wenig Licht in dieses dunkle Kapitel im Leben von Bärbel Bohley zu bringen. In diesem Film aber bleiben die Hintergründe unbelichtet und Zusammenhänge ausgeblendet. Diese Reise im Rückblick zu reduzieren auf eine Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität der Protagonistin, einem „Roadmovie“ eben, wird der Geschichte nicht gerecht. Die Erzählung des Films plätschert ganz unterhaltsam dahin, kann aber die Dramatik des Geschehens nicht enthüllen, den Zuschauer schon gar nicht mitreißen. Immerhin hat der Film fast Spielfilmlänge. Liegt es daran, dass man den Eindruck gewinnen kann, dass der Film niemandem wehtun soll und gar nichts hinterfragen will? Im Plauderton, immer mal wieder durch eine witzige Anekdote angereichert, wird von einer seltsam anmutenden Reise erzählt. Der wahren und durchaus widersprüchlichen Geschichte des Rauswurfs und der erstrittenen Wiederkehr, im Tagebuch eindrucksvoll dokumentiert, wird so die gesellschaftspolitische Dimension genommen. In dieser Ost-West-Geschichte verbirgt sich mehr, als dieser Film zeigt. Schade, dass die Filmemacherin ihren Blick nicht erweitern konnte oder davon scheinbar nichts wissen wollte.

Nach der Vorpremiere des Films im Grünen Salon der Volksbühne, stellte Marianne Birthler die interessante Frage, an Werner Fischer gerichtet: Warum haben die euch eigentlich wieder reingelassen? An die Stiftung Aufarbeitung gerichtet, die den Film gefördert hat, sagte darauf der Moderator Christoph Singelnstein, das wäre doch ein Forschungsthema. Ein solches Projekt zu diesem Thema hatte Bärbel Bohley zu ihren Lebzeiten bei der Stiftung beantragt, aber dafür war keine Förderung möglich, entfuhr es mir daraufhin wütend.

Schon einen Tag später in allen Online-Medien der gleiche Satz: »Der Film zeichnet differenziert das Bild einer kompromisslosen, naiven, sturen Frau mit einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.« Eine neue Facette der Bärbel Bohley wäre das nicht. Diese Attribute sind ihr schon länger angeheftet. Ja, sie hatte eine Haltung und eine Art diese zu vertreten, die manchem nicht gefallen hat, zu DDR-Zeiten genauso wie nach deren verschwinden. Aber warum ihren Mut naiv nennen und ihre Stärke, die für so viele inspirierend war, abwertend auf Sturheit reduzieren? Dass sie für ihre Überzeugungen eintrat, auch kompromisslos zuweilen, sich nicht einschüchtern ließ, könnte man auch positiv mit unbeirrbar oder gradlinig bezeichnen. Wobei ich anmerken möchte, dass sie zwar eine Frau mit einer guten Orientierung war, aber auch sehr bewusst Umwege suchte. Ein erzwungener Umweg war diese Reise in den Westen, deren Spuren die Filmemacherin folgen wollte.

Irena Kukutz, Herausgeberin »Englisches Tagebuch 1988« von Bärbel Bohley, BasisDruck Verlag 2011

3. Februar 2013