Der Fall der Berliner Mauer löschte nicht automatisch die DDR-Biographien aus. (Bild: AP Archiv)

Deutschlandradio 05.12.2005 19:15 Uhr

Frauen in der DDR

Gab es weiblichen Widerstand?

Von Marion Koerdt

Bärbel Bohley - die im Zuge des Wiedervereinigungprozesses zur Symbolfigur der DDR-Opposition stilisiert wurde, schildert ihren Lebensweg, der sich schon recht früh von den konformen Lebensstrukturen innerhalb der DDR abspaltete. Auch die anderen Frauen, von denen hier berichtet wird, kamen früher oder später an den Punkt, an dem sie sich zwischen Anpassung oder Selbstbehauptung entscheiden mussten.

Ich lebe noch - pardon - will sagen
Bin noch nicht tot
Hab alles, was ich brauch, pardon
Und bin in Not.
Ich bin noch frisch - pardon - will sagen
Noch nicht verfault
Hier bin ich gern - pardon - das heißt
Noch nicht vergrault.

Wehrhaft sein, Position beziehen und sich nicht vergraulen lassen - auf alle acht Frauen, von denen in diesem Buch - das auch zahlreiches Bild- und Dokumentationsmaterial enthält - berichtet wird, lässt sich leicht das Lied Wolf Biermanns beziehen. Manche distanzierten sich ganz bewusst vom SED-Regime, andere gerieten unfreiwillig in die Oppositionsrolle. Die Herausgeber Bärbel Bohley, Gerald Praschl und Rüdiger Rosenthal haben gezielt ganz unterschiedliche Frauen-Biographien ausgewählt, um an ihnen darzustellen, dass es innerhalb der DDR auch ganz unterschiedliche Formen von Widerstand gab. Prominenteste Zeitzeugin ist die Mitherausgeberin, Bärbel Bohley.

Weil heute wird vieles langsam begriffen, was mir schon 1989 klar war, weil ich vierzig Jahre im Osten gelebt habe. Mir war klar, man macht nicht einfach die Mauer auf, und dann sind wir alle Bundesbürger, Demokraten und freie Menschen, sondern wir im Osten schleppen unsere Geschichte mit. Ich glaube, die vergessenen Opfer der DDR sind mindestens 10 Millionen.

Bohley war im September 1989 Mitinitiatorin der illegalen Gründungsveranstaltung des "Neuen Forums" in Grünheide bei Berlin. Im Gründungsaufruf wurden freie Wahlen in der DDR gefordert sowie die Zulassung als politische Vereinigung. Es war der erste Versuch, dem Widerstand in der DDR eine Organisationsform zu geben. Der offizielle Weg über das Ministerium des Inneren scheiterte, die "Aktuelle Kamera" meldete.

Ziele und Anliegen der beantragten Vereinigung widersprechen der Verfassung der DDR und stellen eine staatsfeindliche Plattform dar.

Dennoch: Das "Neue Forum" wurde ein Ausgangspunkt der Veränderungen in der DDR. Bohleys Lebensschilderung vor diesem September nimmt rund ein Fünftel des Buches ein.

Der Zweite Weltkrieg war gerade zwei Wochen beendet, als ich im Mai 1945 in den Ruinen Berlins geboren wurde.

Weit ausführlicher als bei den anderen sieben Frauen beschreibt Bohley ihre Sozialisation, die - vereinfacht ausgedrückt - einer der Gründe ihrer oppositionellen Haltung gegenüber der staatlichen Macht wurde. Die seit 1974 freischaffende Malerin wurde 1982 Gründerin des autonomen Netzwerks "Frauen für den Frieden".

Jede Frau, die in einer der unabhängigen Gruppen "Frauen für den Frieden" mitmachte, hatte ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Motive. Alle zusammen wollten, dass ihre Ängste, ihre Meinungen zu Fragen von Gewalt, Krieg und Frieden nicht kriminalisiert, sondern ernst genommen und gehört werden. (...) Besonders mutig fühlte sich keine von uns, eher wollten wir schlau sein wie die Schlangen. (...) Wir akzeptierten, dass jede Frau selbst entschied, welches Risiko sie einging oder nicht, an welcher Aktion sie sich beteiligte oder was sie unterschrieb. (...) Mut wächst meist, ohne dass man es bemerkt. (...) Die Gedanken, die in den schlaflosen Nächten kommen und sich nicht vertreiben lassen, sind ein starker Impuls für späteres Handeln. (...) Obwohl viele allein erziehende Mütter dabei waren, hielt sie das nicht ab, sich dem Risiko einer Verhaftung auszusetzen.

Gerade der letzte Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichten fast aller Frauen in diesem Buch. Sie trugen nicht nur für sich allein die Verantwortung, sondern auch für ihre Kinder. So wie die 1956 in Neubrandenburg geborene Annegret Gollin. Bereits im Alter von 19 Jahren gerät sie ins Visier der Stasi, als die Buchhändlerin bei der Leipziger Messe den Blindband eines Tagebuches von Sartre mitgehen lassen will. Nach § 249 des Strafgesetzbuches der DDR wirft man ihr eine "asoziale Lebensweise" vor. Doch der absurde Weg durch das DDR-Justizsystem fängt für sie damit erst an.

Anfang 1982 wird Anne Gollin in Zwickau auf der Straße erneut verhaftet. Sie geht spazieren, das eineinhalbjährige Kind auf dem Arm. Es wird ihr weggenommen, und sie wird es erst Mitte 1983 wieder sehen, da ist es knapp drei Jahre alt. Der Sohn wird zunächst in einem staatlichen Kinderheim untergebracht. Vor Anne liegt ein langer Gefängnisaufenthalt, der, wie sie heute glaubt, bereits mit dem Ziel angeordnet wird, sie anschließend an den Westen zu verkaufen.

Was sollen wir mit solchen Leuten
Es ist gut, dass man sie ziehen lässt
Dem kann kein Land nichts bedeuten
Wer seine Heimat so verlässt

Seit dem Frühjahr 1963 bietet die SED der Bundesregierung an, politische Häftlinge aus der DDR gegen Bargeld freizukaufen. Bis 1989 gelangten so 31.775 Menschen für insgesamt 3,4 Millionen D-Mark in die Bundesrepublik. Doch dafür mussten erst einmal Daten von Inhaftierten in den Westen gelangen. Eine, die heimlich Informationen über die innerdeutsche Grenze schaffte, war Melanie Weber. Aufgrund einer Krebserkrankung erhielt sie einen Invalidenpass und durfte zu Behandlungen in die Bundesrepublik fahren. Dabei erledigte sie auch Kurierdienste.

Melanie hat die Daten der Häftlinge auswendig gelernt und schreibt sie auf einen Zettel, den sie Bernd L. gibt. Dieser arbeitet inzwischen nebenbei als Referent für das Gesamtdeutsche Institut und gibt die Daten weiter ans innerdeutsche Ministerium, von dort gelangen sie auf die Freikaufsliste.

Oft hätte man sich bei den Berichten einen neutraleren Ton gewünscht. Durch den personalisierten Berichtsstil erscheint das Geschilderte schon fast gemütlich, was dem Inhalt des Erzählten nicht angemessen ist. Manchmal können auch nackte Zahlen mehr über die Unmenschlichkeit eines gesellschaftlichen Systems aussagen als ein weitschweifiger Erzählstil. Wo dies geschieht, liegen dann auch die Stärken dieses Buches.

Über 800 namentlich bekannte Frauen aus der ehemaligen DDR haben ihre von den DDR-Staatsorganen weggenommenen Kinder nie wieder gesehen. Sie wurden zwangsadoptiert und erhielten neue Namen.

Die Qualitätsunterschiede der Einzelschilderungen hängen stark damit zusammen, welcher der Herausgeber sie aufgeschrieben hat. Aber wenn die betroffene Person selbst - wie im Fall von Ingrid Vitzthum - ihre Geschichte schildert, treten Details zutage, die dieses Buch letztendlich lesenswert machen. Sie berichtet über die katastrophalen hygienischen Bedingungen im Frauenzuchthaus Hoheneck, aber auch über die kleinen Rituale, die die Inhaftierung erträglich machen sollten.

Jede Woche bekamen wir ein halbes Glas jeweils mit Zucker und Zuckerrübensirup. Wenn man den Zucker langsam mit einer Gabel in den Sirup schlägt, verdoppelt sich die Menge, und es entsteht eine karamellfarbene, lockere Creme, die Illusion einer köstlichen Nachspeise. Ehe wir uns versahen, hatten wir sie auch schon ausgelöffelt, auch wenn uns regelmäßig danach schlecht wurde. Sie sollte Abwechslung in das trostlose Einerlei bringen, das so schwer zu ertragen war.

Die von den Herausgebern im Vorwort gestellte Frage, ob Frauen in der DDR mutiger und nicht so anfällig für die Verlockungen der Macht waren, bleibt unbeantwortet. Denn dass Mut ein weibliches Charakteristikum sei, relativieren die Herausgeber bereits auf den ersten Seiten.

Aber irgendwann war der Punkt erreicht, da zogen sie wie viele andere - auch viele Männer - Mut und Selbstbewusstsein vor und entschieden sich richtig.

Marion Koerdt über: Mut. Frauen in der DDR. Herausgegeben im Herbig Verlag München von Bärbel Bohley, Gerhard Praschl und Rüdiger Rosenthal. 270 Seiten zum Preis von 17 Euro und 90 Cent.

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