Frauen in der DDR
Gab es weiblichen Widerstand?
Von Marion Koerdt
Bärbel Bohley - die im Zuge des Wiedervereinigungprozesses
zur Symbolfigur der DDR-Opposition stilisiert wurde, schildert ihren
Lebensweg, der sich schon recht früh von den konformen Lebensstrukturen
innerhalb der DDR abspaltete. Auch die anderen Frauen, von denen hier
berichtet wird, kamen früher oder später an den Punkt, an dem sie sich
zwischen Anpassung oder Selbstbehauptung entscheiden mussten.
Ich lebe noch - pardon - will sagen
Bin noch nicht tot
Hab alles, was ich brauch, pardon
Und bin in Not.
Ich bin noch frisch - pardon - will sagen
Noch nicht verfault
Hier bin ich gern - pardon - das heißt
Noch nicht vergrault.
Wehrhaft sein, Position beziehen und sich nicht vergraulen lassen - auf alle
acht Frauen, von denen in diesem Buch - das auch zahlreiches Bild- und
Dokumentationsmaterial enthält - berichtet wird, lässt sich leicht das Lied
Wolf Biermanns beziehen. Manche distanzierten sich ganz bewusst vom
SED-Regime, andere gerieten unfreiwillig in die Oppositionsrolle. Die
Herausgeber Bärbel Bohley, Gerald Praschl und Rüdiger Rosenthal haben
gezielt ganz unterschiedliche Frauen-Biographien ausgewählt, um an ihnen
darzustellen, dass es innerhalb der DDR auch ganz unterschiedliche Formen
von Widerstand gab. Prominenteste Zeitzeugin ist die Mitherausgeberin,
Bärbel Bohley.
Weil heute wird vieles langsam begriffen, was
mir schon 1989 klar war, weil ich vierzig Jahre im Osten gelebt habe. Mir
war klar, man macht nicht einfach die Mauer auf, und dann sind wir alle
Bundesbürger, Demokraten und freie Menschen, sondern wir im Osten schleppen
unsere Geschichte mit. Ich glaube, die vergessenen Opfer der DDR sind
mindestens 10 Millionen.
Bohley war im September 1989 Mitinitiatorin der illegalen
Gründungsveranstaltung des "Neuen Forums" in Grünheide bei Berlin. Im
Gründungsaufruf wurden freie Wahlen in der DDR gefordert sowie die Zulassung
als politische Vereinigung. Es war der erste Versuch, dem Widerstand in der
DDR eine Organisationsform zu geben. Der offizielle Weg über das Ministerium
des Inneren scheiterte, die "Aktuelle Kamera" meldete.
Ziele und Anliegen der beantragten Vereinigung
widersprechen der Verfassung der DDR und stellen eine staatsfeindliche
Plattform dar.
Dennoch: Das "Neue Forum" wurde ein Ausgangspunkt der Veränderungen in der
DDR. Bohleys Lebensschilderung vor diesem September nimmt rund ein Fünftel
des Buches ein.
Der Zweite Weltkrieg war gerade zwei Wochen
beendet, als ich im Mai 1945 in den Ruinen Berlins geboren wurde.
Weit ausführlicher als bei den anderen sieben Frauen beschreibt Bohley ihre
Sozialisation, die - vereinfacht ausgedrückt - einer der Gründe ihrer
oppositionellen Haltung gegenüber der staatlichen Macht wurde. Die seit 1974
freischaffende Malerin wurde 1982 Gründerin des autonomen Netzwerks "Frauen
für den Frieden".
Jede Frau, die in einer der unabhängigen Gruppen
"Frauen für den Frieden" mitmachte, hatte ihre eigene Geschichte und ihre
eigenen Motive. Alle zusammen wollten, dass ihre Ängste, ihre Meinungen zu
Fragen von Gewalt, Krieg und Frieden nicht kriminalisiert, sondern ernst
genommen und gehört werden. (...) Besonders mutig fühlte sich keine von uns,
eher wollten wir schlau sein wie die Schlangen. (...) Wir akzeptierten, dass
jede Frau selbst entschied, welches Risiko sie einging oder nicht, an
welcher Aktion sie sich beteiligte oder was sie unterschrieb. (...) Mut
wächst meist, ohne dass man es bemerkt. (...) Die Gedanken, die in den
schlaflosen Nächten kommen und sich nicht vertreiben lassen, sind ein
starker Impuls für späteres Handeln. (...) Obwohl viele allein erziehende
Mütter dabei waren, hielt sie das nicht ab, sich dem Risiko einer Verhaftung
auszusetzen.
Gerade der letzte Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch die
Geschichten fast aller Frauen in diesem Buch. Sie trugen nicht nur für sich
allein die Verantwortung, sondern auch für ihre Kinder. So wie die 1956 in
Neubrandenburg geborene Annegret Gollin. Bereits im Alter von 19 Jahren
gerät sie ins Visier der Stasi, als die Buchhändlerin bei der Leipziger
Messe den Blindband eines Tagebuches von Sartre mitgehen lassen will. Nach §
249 des Strafgesetzbuches der DDR wirft man ihr eine "asoziale Lebensweise"
vor. Doch der absurde Weg durch das DDR-Justizsystem fängt für sie damit
erst an.
Anfang 1982 wird Anne Gollin in Zwickau auf der
Straße erneut verhaftet. Sie geht spazieren, das eineinhalbjährige Kind auf
dem Arm. Es wird ihr weggenommen, und sie wird es erst Mitte 1983 wieder
sehen, da ist es knapp drei Jahre alt. Der Sohn wird zunächst in einem
staatlichen Kinderheim untergebracht. Vor Anne liegt ein langer
Gefängnisaufenthalt, der, wie sie heute glaubt, bereits mit dem Ziel
angeordnet wird, sie anschließend an den Westen zu verkaufen.
Was sollen wir mit solchen Leuten
Es ist gut, dass man sie ziehen lässt
Dem kann kein Land nichts bedeuten
Wer seine Heimat so verlässt
Seit dem Frühjahr 1963 bietet die SED der Bundesregierung an, politische
Häftlinge aus der DDR gegen Bargeld freizukaufen. Bis 1989 gelangten so
31.775 Menschen für insgesamt 3,4 Millionen D-Mark in die Bundesrepublik.
Doch dafür mussten erst einmal Daten von Inhaftierten in den Westen
gelangen. Eine, die heimlich Informationen über die innerdeutsche Grenze
schaffte, war Melanie Weber. Aufgrund einer Krebserkrankung erhielt sie
einen Invalidenpass und durfte zu Behandlungen in die Bundesrepublik fahren.
Dabei erledigte sie auch Kurierdienste.
Melanie hat die Daten der Häftlinge auswendig
gelernt und schreibt sie auf einen Zettel, den sie Bernd L. gibt. Dieser
arbeitet inzwischen nebenbei als Referent für das Gesamtdeutsche Institut
und gibt die Daten weiter ans innerdeutsche Ministerium, von dort gelangen
sie auf die Freikaufsliste.
Oft hätte man sich bei den Berichten einen neutraleren Ton gewünscht. Durch
den personalisierten Berichtsstil erscheint das Geschilderte schon fast
gemütlich, was dem Inhalt des Erzählten nicht angemessen ist. Manchmal
können auch nackte Zahlen mehr über die Unmenschlichkeit eines
gesellschaftlichen Systems aussagen als ein weitschweifiger Erzählstil. Wo
dies geschieht, liegen dann auch die Stärken dieses Buches.
Über 800 namentlich bekannte Frauen aus der
ehemaligen DDR haben ihre von den DDR-Staatsorganen weggenommenen Kinder nie
wieder gesehen. Sie wurden zwangsadoptiert und erhielten neue Namen.
Die Qualitätsunterschiede der Einzelschilderungen hängen stark damit
zusammen, welcher der Herausgeber sie aufgeschrieben hat. Aber wenn die
betroffene Person selbst - wie im Fall von Ingrid Vitzthum - ihre Geschichte
schildert, treten Details zutage, die dieses Buch letztendlich lesenswert
machen. Sie berichtet über die katastrophalen hygienischen Bedingungen im
Frauenzuchthaus Hoheneck, aber auch über die kleinen Rituale, die die
Inhaftierung erträglich machen sollten.
Jede Woche bekamen wir ein halbes Glas jeweils
mit Zucker und Zuckerrübensirup. Wenn man den Zucker langsam mit einer Gabel
in den Sirup schlägt, verdoppelt sich die Menge, und es entsteht eine
karamellfarbene, lockere Creme, die Illusion einer köstlichen Nachspeise.
Ehe wir uns versahen, hatten wir sie auch schon ausgelöffelt, auch wenn uns
regelmäßig danach schlecht wurde. Sie sollte Abwechslung in das trostlose
Einerlei bringen, das so schwer zu ertragen war.
Die von den Herausgebern im Vorwort gestellte Frage, ob Frauen in der DDR
mutiger und nicht so anfällig für die Verlockungen der Macht waren, bleibt
unbeantwortet. Denn dass Mut ein weibliches Charakteristikum sei,
relativieren die Herausgeber bereits auf den ersten Seiten.
Aber irgendwann war der Punkt erreicht, da zogen
sie wie viele andere - auch viele Männer - Mut und Selbstbewusstsein vor und
entschieden sich richtig.
Marion Koerdt über: Mut. Frauen in der DDR.
Herausgegeben im Herbig Verlag München von Bärbel Bohley, Gerhard Praschl
und Rüdiger Rosenthal. 270 Seiten zum Preis von 17 Euro und 90 Cent.
© 2005 Deutschlandradio
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