Interview
DIE ZEIT -
2001
Tacheles - Das Streitgespräch am
Freitagabend
Ein Gespräch mit Bärbel
Bohley, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin, Malerin, geführt von Jan Ross,
die ZEIT, und Dieter Jepsen-Föge, DeutschlandRadio Berlin.
Auszüge aus dem Interview:
FRAGE:
Frau Bohley, sind Sie noch in Berlin zu Hause oder ist Kroatien Ihre
neue Heimat?
BOHLEY:
Es ist eigentlich sehr schön, wenn man eine alte Heimat hat und eine
neue. Dann gibt es ein neues Spannungsfeld, und insofern ist Berlin
meine alte Heimat und wird es bleiben, und ich interessiere mich auch
für alles, was hier passiert. Kroatien - oder sagen wir mal eigentlich
nicht nur Kroatien sondern der Balkan - ist meine neue Heimat. Ich habe
ja drei Jahre in Bosnien gearbeitet von 1996 bis 1999 und bin jetzt
eigentlich erst kürzere Zeit in Kroatien.
In Bosnien waren Sie für ein Projekt
der Europäischen Union. Was ist eigentlich daraus geworden?
Dieses Projekt ist abgeschlossen; der
Vertrag lief aus. Leider bin ich sehr unzufrieden mit dem, wie das
Projekt beendet wurde. Eigentlich ist mit meinem Weggehen alles
gestorben, was ich aufgebaut habe. Und das liegt ein bisschen daran,
dass die internationale Gemeinschaft dort immer sehr kurzfristig tätig
ist - also die jeweiligen Vertreter. Die Diplomaten arbeiten für ein
halbes Jahr; die Verträge sind ganz kurz. Die Diplomaten sind ein halbes
Jahr im Krisengebiet, um dann später auf Hawaii Botschafter zu werden.
Und so ähnlich ist es mit anderen Einrichtungen auch. Es gibt eigentlich
nicht den wirklich gezielten Ansatz - jedenfalls den sehe ich den nicht
- die lokalen Leute zu befähigen, ihre Probleme in die eigene Hand zu
nehmen. Sie werden immer nur ‚verwaltet’, und das kommt aus dieser
kurzfristigen Betreuung heraus.
Was ist das, was Sie jetzt konkret in
Kroatien machen?
Eigentlich lebe ich in Kroatien, weil ich
nicht mehr so hundertprozentig in Deutschland leben wollte. Ich fand das
auch eine zeitlang langweilig, was politisch passiert, und ich konnte
mich selber auch nicht mehr reden hören. Ich konnte mir eigentlich nach
meinem Bosnien-Aufenthalt nicht vorstellen, hierher zurückzugehen und so
weiter zu machen wie vorher…
…weil Sie auch zu präsent waren in
den Medien, das Gefühl hatten, Sie müssen da einmal aussteigen?
Einmal das und weil auch das Thema
‚DDR-Vergangenheit’ niemand mehr hören wollte, was ja jetzt wieder
gerade am 13. August neu auf die Tagesordnung gestellt worden ist - oder
sagen wir einmal mit der Vorstellung der SPD, eventuell mit der PDS zu
koalieren.
Sie hatten das Gefühl, Sie haben ein
Etikett weg?
Ich habe ein Etikett weg, und das will
ich nicht. Dagegen muss man sich auch wehren. Ich finde das so schön,
die großen chinesischen Künstler, wenn die berühmt waren, dann haben sie
ihren Namen gewechselt und so etwas habe ich ein bisschen auch gemacht.
Ich habe ja geheiratet und zumindest an meinen Namen noch etwas
herangehangen. Man muss eigentlich dann wieder von Null anfangen, wenn
man nicht in diesem Kasten ersticken will, in den einen andere stecken.
Und bei Null anfangen, heißt jetzt in
Kroatien: Sie betreuen Kinder, die durch den Krieg traumatisiert sind?
Ja, mein Mann und ich haben ein kleines
Kinderprojekt aufgebaut - zuerst privat wir beide, und jetzt haben wir
einen kleinen Verein in Berlin gegründet, haben dort ein kleines Haus
für sieben Jahre angemietet und holen uns im Sommer Kinder dort hin.
Aber dieses Haus ist geeignet, um das ganze Jahr besetzt zu sein, und es
gibt Gespräche mit verschiedenen Einrichtungen, zum Beispiel will
vielleicht die Hypo-Bank München für den Oktober Frauen mit Kindern -
viele haben ja keine Männer mehr, kommen nie raus, leben in den Ruinen
in Bosnien - mal einen Ferienaufenthalt am Meer sponsern. Das wäre sehr
schön, wenn man so ein Projekt für das ganze Jahr findet und auch
jemanden, der das finanziert. Es ist zwar nicht so teuer, aber man kann
es nicht ausschließlich privat machen.
Sie sind jetzt seit einer Woche hier
in Deutschland. Hilft es eigentlich, hilft die Distanz, die Probleme in
Deutschland, in dieser Gesellschaft klarer zu erkennen - sozusagen mit
dem Blick von Kroatien, mit den Problemen dort, auch zu sehen, was sich
eigentlich in dieser Gesellschaft tut?
Ich finde das sehr gut aus so einer
Entfernung - das sind ja 1500 Kilometer - auf Deutschland zu gucken. Das
hat mir in der letzten Zeit sehr geholfen, mich auch ein bisschen zu
befreien. Und es ist natürlich schon ein Unterschied, ob man mit
Kriegsverbrechern zusammen lebt - und das mache ich ja jetzt - oder ob
man mit solchen Stasi-Bonzen zusammen lebt, die in anderer Weise
Verbrechen gemacht haben. Für mich war das eine Klärung für meine Seele:
wo tut es mehr weh?
Hat das die DDR-Verbrechen
relativiert oder was meinen Sie mit Klärung?
Nein, es hat sie nicht relativiert, aber
ich verstehe besser, dass sie nicht wahrgenommen werden. Wenn selbst die
Kriegsverbrecher nicht wahrgenommen werden. Zum Beispiel: in meinem Büro
in Sarajevo liefen die E-Mails immer von allen möglichen - APTF und SFOR
und wie sie alle hießen - über den Bildschirm, und alle wussten, als ich
1996 dorthin kam, wo Karadzic ist, in welchen Cafés er verkehrt oder wo
sich Arkan aufhält, und die Leute sind nicht verhaftet worden zu dieser
Zeit! Erst heute kommen die ersten Kriegsverbrecher aus Bosnien nach
Haag. Jeder wusste, was da eigentlich passiert ist; die Bevölkerung hat
nicht verstanden, wie die internationale Gemeinschaft dort das Unrecht
aufarbeitet. Dazu hätte erst einmal gehört, die Leute festzunehmen! Vor
diesem Hintergrund sehe ich das hier in Deutschland irgendwie anders....
…dass es keine deutsche
Sonderkrankheit ist?
Es ist keine deutsche Sonderkrankheit,
sondern es ist die Unentschiedenheit der Menschen mit dem Unrecht
umzugehen. Man möchte immer weiter gehen; am liebsten möchte man es zu
den Akten legen, und das ist eigentlich tragisch.
Hier wurden Sie ja früher zitiert mit
dem Satz ‚Wir,’ - die Bürgerrechtler, meinten Sie damals, ‚wir wollten
Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat’. Ist das unter diesem Aspekt,
auf dieser Folie Ihrer Balkan-Erfahrungen die Entwicklung in Deutschland
betrachtend, die Erkenntnis, dass es letztlich weder in Deutschland noch
auf dem Balkan so etwas wie Gerechtigkeit gibt?
Ich glaube immer noch an die
Gerechtigkeit, muss ich Ihnen sagen. Ich glaube nur, dass es den
wirklich politischen Willen geben muss, der Gerechtigkeit näher zu
kommen. Die wird nie vollkommen sein, aber es muss den Willen geben, der
Gerechtigkeit einen Raum zu geben und der fehlt. Es kann nur der
politische Wille sein - hier und auch auf dem Balkan! Nur der politische
Wille bringt den Leuten ein bisschen Gerechtigkeit!
Dann sprechen wir doch über den
politischen Willen konkret in Deutschland. Sie haben diese Woche
genutzt, einmal um den 13. August herum, auch Ihre Stimme wieder zu
erheben, sich einzumischen, auch konkret politisch einzumischen. Sie
wollen den Liberalen im Wahlkampf in Berlin helfen, damit die FDP bei
der nächsten Landtagswahl in das Abgeordnetenhaus von Berlin
zurückkommt. Sie gehören auch - wie soll man das nennen - zu einem
Beraterkreis um den CDU-Spitzenkandidaten Steffel. Wie passt das
zusammen, wie begründen Sie selber Ihr politisches Engagement?
Da kommen eigentlich viele Sachen
zusammen, zum Beispiel auch, wie ungenau die Medien berichten. Für mich
ist das nicht ein Beraterkreis für Steffel, sondern ein Arbeitskreis zu
dem Thema ‚Innere Einheit’. Keiner von den Beteiligten hat gesagt, wir
wollen jetzt Wahlkampf für Steffel machen oder für die CDU. Alle waren
sich einig, das Thema ist wichtig und wir müssen darüber sprechen. Und
so lange ich dabei war, bei der Pressekonferenz, wurde das auch von
Seiten der CDU so gesagt, dass das keine Wahlkampfgeschichte ist,
sondern...
…zwei Mitglieder waren schnell danach
ausgetreten, weil sie denn doch den Eindruck hatten - wie soll ich sagen
- instrumentalisiert zu werden, für den CDU-Wahlkampf.
Ich verstehe das nicht. Ich habe mit
Wolfgang Templin nicht darüber gesprochen. Er weiß, wie leicht man
instrumentalisiert wird, aber er war gar nicht anwesend. Er ist aus
einem Kreis ausgetreten, an dem er nicht teilgenommen hat. Das finde ich
ein bisschen komisch, muss ich Ihnen sagen und der andere war
SPD-Mitglied, Herr Beleites und da in den Medien natürlich viel
Wahlkampf herüber kam, verstehe ich, dass er sagt, da mache ich jetzt
nicht mit. Solange ich da war, wurde das nicht als Wahlkampf-Initiative
vorgestellt.
Okay, aber wenn es die Medien aus
ihrer Sicht falsch dargestellt haben, sagen Sie doch aus Ihrer Sicht,
wie Sie es verstehen, Ihr politisches Engagement für die FDP. Weshalb,
was treibt Sie da?
Das ist eigentlich ziemlich einfach, muss
ich Ihnen sagen. Ich frage mal alle Leute, für welche Partei soll man
sich denn hier stark machen? Das ist nicht so leicht. Ich bin dagegen,
dass die PDS diese Stadt mitregiert. Die SPD hat gesagt, sie kann sich
das vorstellen, die Grünen machen augenblicklich alles, um auch mit in
diesem Boot zu bleiben. Es bleibt eigentlich nur die FDP. Und die FDP
ist seit fünf Jahren nicht im Parlament und ich finde, der Kuchen wird
jetzt hier in Berlin neu verteilt. Ich bin keine FDP-Anhängerin, werde
nicht in die FDP eintreten und beabsichtige auch nicht, ein Mandant zu
bekommen, aber ich möchte einfach, dass an diesem Spiel die FDP mit
teilnimmt. Außerdem schätze ich in gewisser Weise auch diese Partei und
halte sie insgesamt für eher erneuerungsfähig als die PDS. Das ist ja
völlig klar.
Der Antrieb, sich in der FDP zu
engagieren, verstehe ich, ist vor allen Dingen die Überlegung, man muss
die PDS verhindern, mit an der Regierung beteiligt zu werden. Ist es
das?
Ich denke, wenn die FDP im
Abgeordnetenhaus ist und genügend Stimmen hat, ist es schon nicht so
leicht für SPD zu sagen: es ist keine andere Partei für uns da, mit der
wir koalieren können; es bleibt nur die PDS, denn das ist ja
augenblicklich das Argument.
Es könnte eine ‚Ampel’ herauskommen,
zum Beispiel.
Das ist mir völlig egal, auf jeden Fall
nicht mit der PDS! Ich meine, da müssen wir uns ja nichts vormachen, die
Parteien haben ja augenblicklich - finde ich jedenfalls - kein richtiges
Profil. Das Profil gewinnen sie immer nur im Gegeneinander, aber man
weiß eigentlich nicht, worin das Profil besteht, wofür sie sind. Das ist
ziemlich schwierig.
Nun gibt es ja eine Argumentation,
natürlich vor allen Dingen von der PDS, auch von Gregor Gysi, aber doch
auch geteilt von anderen, die sagen: warum sollen wir die PDS nicht
einbinden - im Gegenteil, es führt dazu, die innere Einheit zu
vollenden, oder ihr zumindest näher zu kommen, denn die PDS ist immerhin
eine Partei, ob sie sie mögen oder nicht, die in Berlin bei der letzten
Wahl von ungefähr 40 Prozent der Ost-Berliner gewählt wurde. Sie
auszugrenzen ist nicht in Ordnung, sie einzubinden ist doch eigentlich
viel besser?
Ich denke, sie wird nicht ausgegrenzt.
Sie ist in der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern; sie ist in
den Rathäusern, in den Kommunen, überall ist sie vertreten! Sie wird
nicht ausgegrenzt, und hier findet ein Wahlkampf statt! Und wenn ich
mich zurückhielte, im Sinne Ihrer Sätze eben, dann bedeutete das zu
akzeptieren, dass die PDS in die Berliner Landesregierung rein muss. Sie
muss dort aber nicht rein, deshalb wird Wahlkampf gemacht, und deshalb
mische ich mich in diesen Wahlkampf ein! Wenn diese Koalition mit der
PDS dann doch stattfinden wird, wird keiner von uns, der gegen diese
Koalition ist, Handgranaten schmeißen! Wir werden es dann akzeptieren
müssen.
Was sagen Sie zu diesem Argument mit
der inneren Einheit?
Ich muss sagen, da hat ja nun gerade DIE
ZEIT diesen schönen Artikel von Richard Schröder veröffentlicht ...
…das war die Antwort auf Egon Bahr.
Ja, das war die Antwort darauf, und das
war im Grunde auch die Aussage, dass diese Koalition die innere Einheit
fördern würde. Das ist natürlich der größte Quatsch! Die DDR gibt es
nicht mehr. Die PDS wird in Berlin von 40 Prozent und von dem Rest der
ehemaligen DDR von 20 Prozent ungefähr gewählt. Es sind immerhin noch 80
Prozent, die sie nicht wählen! Und dass sie in Berlin so viele Stimmen
hat, dafür gibt es einfach mehrere Ursachen: Erstens, haben in Berlin
die meisten Funktionäre gewohnt; in Berlin gab und gibt es die meisten -
auch im Westen - linken Gruppierungen, wenn ich nur an die AL denke und
wie die Gruppen alle hießen, die Trotzkisten und was es da nicht alles
im Westen gab. Es gibt sehr viele Leute, die sich mit diesem Gedanken
einer PDS-Beteiligung irgendwie abfinden könnten, oder die vielleicht
sogar vor 1989 aus West-Berlin auch gerne ein Ost-Berlin gemacht hätten.
Die gibt es eben im Westen, und dieses Potential ist in Berlin da, und
deshalb muss man hier eigentlich wirklich eine Politik machen, die nicht
auf Schlagabtausch hinaus führt, weil das gar nichts bringt. Ich glaube,
in Berlin müsste man vielmehr eine Politik machen mit Argumenten. Hier
Berlin ist ja so etwas wie der Brennpunkt für mich jetzt in Deutschland.
Die Politik die hier gemacht wird, wird Weichen stellen für deutsche
Politik.
Das heißt, Sie halten es auch für
möglich, dass es auf Bundesebene eine Koalition SPD-PDS geben könnte -
auch wenn der Bundeskanzler und der SPD-Generalsekretär jetzt sagen, das
kommt überhaupt nicht in Frage?
Na ja, wissen Sie, das kennt man doch
alles. Wir sind jetzt hier das Testfeld, und hier wird jetzt getestet,
wie reagiert die Bevölkerung? Ist das machbar? Aber geplant ist das für
die Bundesebene schon längst! Sozusagen die ‚große linke Partei in
Deutschland’ soll wieder entstehen, und das halte ich einfach für einen
Schwachsinn, zu glauben mit der PDS könnte man eine große linke Partei
in Deutschland schaffen!
Unter dem Aspekt der Aufarbeitung und
Aufklärung - wie betrachten Sie eigentlich und wie bewerten Sie den
aktuellen Konflikt zwischen dem Bundesinnenminister und der
Gauck-Behörde? Es war doch erst mit Joachim Gauck und ist jetzt mit Frau
Birthler der Konflikt um die Herausgabe von Akten über westdeutsche
Politiker, deren Telefonate abgehört wurden.
Ich muss sagen, dass ich da die Position
vertrete, dass die Persönlichkeitsrechte vorgehen. Aber wenn es die
Auswirkung hat, dass man deshalb die anderen Sachen nicht mehr aufdecken
kann, dann muss man das Gesetz novellieren, und man muss einfach die
Systemträger mit hinein nehmen. Man muss sich einfach noch einmal klar
werden, wer war Systemträger, oder wer war Täter, und wer war Opfer? Ich
kann das nicht so einfach mitmachen, dieses ‚machen wir doch einfach
weiter so’, weil ich sagen muss, mir ist das schon wichtig, dass der
Einzelne auch über seine Akten entscheiden kann - jedenfalls wenn er
nicht Täter oder Systemträger war.
Sie würden also sagen, die
‚Kohl-Akten’ sollte man schützen, aber die Akten eines SED-Funktionärs,
der im Stasi-Unterlagengesetz nicht als Täter oder Begünstigter
auftaucht, die müsste man trotzdem offen legen?
Ja . Wissen Sie, als wir damals den
Hungerstreik in der Gauck-Behörde gemacht haben, ging es uns - zumindest
mir und ich glaube, einigen anderen auch - nicht darum, westdeutsche
Regierungskriminalität aufzuarbeiten! Wir wollten unsere eigenen Akten
sehen; wir wollten wissen, wer waren unsere Spitzel; was ist in unserem
Fall gelaufen, im Fall der DDR-Bürger, und wir wollten die Geschichte
der DDR aufarbeiten! Das hatte erst einmal wenig mit Kohl zu tun, und es
gibt andere Archive, und es gibt andere Methoden, um das Unrecht
aufzuarbeiten. Das, denke ich, muss nicht der Knackpunkt sein.