Interviews

TAZ - 07./08.11.2009


Wie haben Sie den Westen verändert?


Statt immer nur westlichen Einfluss in der früheren DDR zu beleuchten, fragt die taz Ostler, wie sie den Westen verändert haben. Eine Frage, die sich viele von ihnen so noch nie gestellt haben.

Bärbel Bohley: Wir haben das hinter uns, was ihr vor euch habt. Ihr könnt von uns lernen.

Das grüne Ampelmännchen und der grüne Pfeil sind abgelutscht. Dann kommen Beispiele aus dem kulinarischen Bereich. Aber auch die Spreewaldgurken sind nicht mehr das, was sie mal waren. Zu viel Zucker. Selbst die Soljanka ist verwestlicht. Von den Brötchen ganz zu schweigen. Dresdener Stollen, Halberstädter Würstchen und Bautzener Senf - kommen die nicht schon aus China?


Foto: ap


Dann fällt ein schwerer Satz: Der Osten war eine Vitaminspritze für den Westen. Jetzt sind die Vitamine aufgebraucht, die lukrativen Spekulationsobjekte sind verteilt. Die Kassen sind leer, und der Westen sieht in weiten Teilen so aus wie der Osten vor zwanzig Jahren. Ja, auf leisen Sohlen ist der derbe Osten in den feinen Westen gekommen, an den Hacken klebte noch die lehmige mecklenburgische Erde, vermischt mit Kuhmist und Hühnerkacke. Keiner hat es gemerkt, aber plötzlich war er da, der Osten im Westen, und verändert ihn Tag für Tag seit zwanzig Jahren, nimmt ihm die Schminke, macht ihn realer, zeigt ihm seinen Platz in der Welt. Wir haben das hinter uns, was ihr vor euch habt. Ihr könnt von uns lernen. Die Wirklichkeit ist vorwiegend rau, grob und niederträchtig, aber sie hat ihren eigenen Glanz. Lassen wir uns von ihr beflügeln.

Quelle: taz v. 07./08.2009