Interviews

11.06.2006

STZ-REDAKT10NSGESPRÄCH:

„Man lebt, um Fehler zu machen"

Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley über ihre Rolle, die Zeit der Wende und über vergessene Unterschiede

VON STZ-KORRESPONDENT GEORG GRÜNEWALD

„Mir fehlt der Machtwille", sagt Bärbel Bohley im stz- Redaktionsgespräch. Sie möchte über ihre Lebensverhältnisse bestimmen, nicht über die anderer. Es ist ihre Absage an die Politik, aber kein Abschied vom gesellschaftlich-politischen Engagement.

BAD SALZUNGEN - Ihren Lebensmittelpunkt hat Bohley so schon Vorjahren auf den Balkan verlegt. Zunächst beruflich als EU-Flüchtlings-Beauftragte in Sarajewo, danach auch privat, indem sie sich 1998 ein altes Haus an der kroatischen Adria-Küste gekauft hat. Ein Wechsel, der auch politische Gründe hatte, wie Bohley feststellt. „Ich bin nicht gerne der Rufer in der Dunkelheit", sagt sie. Man müsse sehen, ob sich ein Engagement lohnt. In Deutschland habe es sich in den vergangenen Jahren nicht gelohnt.  Aber auf dem Balkan gebe es sinnvolle Arbeit. Doch indirekt holt sie die Vergangenheit auch in Kroatien ein. Vieles wiederholt sich, stellt sie fest. „Bei uns laufen die Stasis frei rum, dort die Mörder." Aber es seien nicht die ihren, „deshalb ertrage ich sie leichter. „Die wirklichen Täter sind recht gut weggekommen", sagt sie mit Blick auf ihre alte Heimat und meint die hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter - die in den offiziellen Strukturen, die heute alle „in schönen Häusern leben und alles vergessen haben, als wäre nichts gewesen". Die IMs sind doch nur die Handlanger gewesen, sagt Bohley. Aber „Markus Wolf ist von Anfang an gesellschaftsfähig gewesen", erinnert sie. Auch durch die westdeutsche Gesellschaft. Für viele Medien sei er interessanter gewesen als die Opfer. Viele hielten das für Normalität. „Aber ich nicht", sagt Bohley. Man hat nicht tiefer in das System geschaut, bedauert sie. PDS-Aushängeschild Gregor Gysi habe sagen können, er hat nichts unterschrieben, obwohl er auch so geredet hat. Nie würde sie zu einem Juristen gehen, der schon in der DDR Jurist war, sagt Bohley. Die Unterschiede sind wichtig. Aber sie seien untergegangen. Angela Merkel sei Pfarrerskind gewesen, „sie musste nicht FDJ-Mitglied werden". Dass etwas falsch läuft, wurde Bohley am deutlichsten bewusst, als Bundeskanzler Helmut Kohl im Reichstag sagte, er wisse nicht, was er gemacht hätte, wenn er in der DDR gelebt hätte. „Diesen Satz hätte er nicht sagen sollen", meint Bohley. Er habe die Schleusen geöffnet für das: Es war ja gar nicht so schlimm  Gerede.
Und die stillen Zeugen seien ganz schnell beseitigt worden. Wie die Berliner Mauer.

„Es wurde alles getan, dass es vergessen wird", bilanziert die Bürgerrechtlerin. Wo war hier West? Wo war hier Ost?", fragten Passanten heute am Checkpoint Charlie. Man wisse es gar nicht mehr. Es ist nur der Blick zurück. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht mehr korrigieren. Etwa die komfortablen Renten der Stasi-Mitarbeiter, „es ist einfach vorbei".

Aber manches könnte abgemildert werden, wenn man mit der Opferrente vorwärts kommt. Und man könne das Thema präsent halten. „Dazu kann ich nur ermutigen", sagt sie. Es ist nicht so, dass es keinen mehr interessiert, und man müsse davon ausgehen, dass bald mehr davon hören wollen. So bleibe die Bildungsarbeit. Einen Schlussstrich könne man zwar fordern, „aber es wird ihn nicht geben".

Immer wieder wird es Generationen geben, die wissen wollen: Was ist Zersetzung? „Man lebt, um Fehler zu machen", sagt Bohley und blickt auf die Wendezeit und das Neue Forum zurück. Der erste große Fehler sei gewesen, bei der Wahl nicht unter dem bekannten Namen Neues Forum, sondern als Bündnis 90 anzutreten. Der zweite sei gewesen, sich von den Westgrünen vereinnahmen zu lassen. Sie wollte schließlich nicht, dass das Neue Forum eine Partei wird. Es sollte eine Bewegung bleiben. Dass es anders gekommen ist, sieht Bohley nicht mit Groll.

„Es ist so", sagt sie, „irgendwann haben solche Bewegungen ihre Aufgabe erfüllt." Aber neue scheinen nicht in Sicht. Es sei nicht gut für Deutschland, dass es keine glaubwürdige linke Partei gibt, sagt sie. Eine, die Diskussionen anstößt, neue Wege geht, für Lebendigkeit sorgt und sich Gedanken macht über soziale Gerechtigkeit. Stattdessen landeten viele junge Leute bei der PDS. Aber die sei nur ein Placeboprodukt. Da werde etwas angeboten, das hohl ist, „da werden einfach Lügen weitergegeben". Und die Grünen hätten sich längst von ihren Zielen verabschiedet. Viele seien aufgesprungen, auch Joschka Fischer, aber es gebe keine Petra Kelly mehr bei den Grünen. Und bei der CDU keinen jungen Geißler, der die Leute mitreißt.
* in Bearbeitung
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