Witzel: Frau Bohley, wie geht‘s Ihnen in Kroatien?
Bohley:
Mir geht es hier ganz gut. Vielleicht, weil ich auch Abstand zu dem
Geschehen in diesem Land habe. Es ist eben nicht mein Land. Aber die Leute
sind freundlich und hilfsbereit. Persönlich ist mir hier nie
Ausländerfeindlichkeit entgegengebracht worden. Und ich habe viel gelernt
über Traditionen, die bei uns schon fast verloren gegangen sind, zum
Beispiel etliches über den Wert der Familie.
Verfolgen Sie noch intensiv das Geschehen in Deutschland?
Bohley: Natürlich. Dank Internet und Satellitenfernsehen ist das ja gut
möglich, außerdem bin ich oft in Deutschland oder Freunde besuchen mich.
Witzel: Was sagen Sie zu den möglichen Neuwahlen im September?
Bohley: Natürlich ist das Zustandekommen der Wahlen eine Farce, aber gerade
angesichts dieses Politiktheaters halte ich sie für unbedingt notwendig. Die
Wahlen werden auch Klarheit darüber bringen, ob wir neue Parteien am rechten
und linken Rand brauchen.
Witzel: Vera Lengsfeld, Günter Nooke (beide CDU) und Werner Schulz (Bündnis
90/Grüne) werden gerade quasi ausgemustert von ihren Parteien. Ist 15 Jahre
nach der Wiedervereinigung kein Platz mehr für die ehemaligen
DDR-Bürgerrechtler in der deutschen Politik? Und wie beurteilen Sie die Art
des Umgangs mit ihnen?
Bohley: Im Prinzip bin ich der Meinung, dass Wahlen Wahlen sind und man
nicht durch lange Zugehörigkeit im Bundestag für sein nächstes Mandat
legitimiert wird. Von den ehemaligen Bürgerrechtlern, die heute im Bundestag
sitzen, ist leider immer weniger zu hören gewesen. Das liegt aber weniger
daran, dass sie nichts zu sagen hätten, sondern dass sie sich unter den
gegebenen Umständen oft kein Gehör verschaffen konnten. Zu wenige waren
Mandatsträger. Parteidisziplin, interne Machtkämpfe und auch das
Desinteresse der Medien sind ebenfalls mitverantwortlich. Wenn heute die
sperrigen Bürgerrechtler durch glatte Figuren ersetzt werden – und das
trifft ja in diesem Fall auf alle Parteien zu, dann sagt das viel darüber
aus, wie die Parteien in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen.
Griffig, einig, glatt. Zum Glück klappt es meistens nicht.
Witzel: Hat die Politik die Bürgerrechtler überhaupt ausreichend integriert?
Bohley: Nein, das hat sie nicht. Ihre Ideale und Ziele sind oft als
unpolitisch diskreditiert worden und es gab keine wirkliche
Auseinandersetzung mit ihnen.
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Dafür sind die Bürgerrechtler oft benutzt
worden. Zum Beispiel von den Grünen, um wenigstens nach der
Wiedervereinigung indirekt im Bundestag zu sitzen, von der CDU, um den
Zusammenschluss mit der Ost-CDU erträglicher zu machen, und von der SPD, um
zu beweisen, dass auch sie begriffen hat, dass die Wiedervereinigung nicht
verhindert werden kann, und von weiten Teilen der Bevölkerung als Alibi, um
sich nicht selbst mit der DDR-Vergangenheit auseinander setzen zu müssen.
Das alles hatte aber nichts mit dem politischen Anliegen der Bürgerrechtler
zu tun.
Witzel: Sind die Ziele und Ideale von damals heute überflüssig geworden?
Bohley: Unsere damaligen Ziele und Ideale sind natürlich nicht überflüssig
geworden und damit die aller anderen Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa
auch nicht. Der ganze Osten war nach 1989 überfordert. Es ging in erster
Linie um die Bewältigung der neuen Probleme, vor allem um Bestandsaufnahme,
Existenzsicherung und Anpassung. Da mussten viele Ideale erst einmal auf Eis
gelegt werden und andere haben sich natürlich auch als schöne Hirngespinste
herausgestellt. Aber noch immer brauchen wir eine starke zivile
Gesellschaft, eine transparente, menschlichere Politik, mehr Gerechtigkeit,
mehr öffentliche Kontrolle, mehr Einflussmöglichkeiten für den Bürger usw.,
usw.
Witzel: Was halten Sie von dem neuen Linksbündnis mit Lafontaine und Gysi an der
Spitze?
Bohley: Gar nichts. Die Gefühle der Menschen sind sehr ernst zu nehmen, aber
mit ihnen zu spielen kann für die Demokratie tödlich sein. Im Tal der
Unzufriedenen wird auf Teufel hinaus gegrast und besonders gefräßig sind
diese Linken. Was dabei hinten herauskommt, zeigt sich erst ein wenig später
und wird nur die Politikverdrossenheit der Wähler erhöhen. Der
Zusammenschluss von Bauernfängern und Linkspopulisten wird nichts bewirken.
Wie eng der Rahmen heute für politisches Handeln ist, haben ja Gysi und
Lafontaine selbst erfahren und schnell die Flucht vor der Realität
ergriffen. Wenn sie ehrlich wären, hätten sie sich zu einer neuen KPD
zusammengefunden und Deutschland hätte die Frage beantworten können, ob wir
eine brauchen oder nicht.
Witzel: Werden Sie sich in irgendeiner Form im Wahlkampf engagieren (so es denn
einen geben wird)?
Bohley: So ein Interview ist hoffentlich auch ein kleiner Beitrag. |