Interviews

 Südthüringer Zeitung 12.07.2005

STZ-INTERVIEW: CHRISTOPH WITZEL

Für eine starke zivile Gesellschaft

Bärbel Bohley war so etwas wie die Galionsfigur der DDR-Bürgerrechtsbewegung, deren Engagement wesentlich zur friedlichen deutschen Revolution von 1989/90 und zum Fall der Mauer beigetragen hat. Im stz-Interview äußert sich die 60-Jährige unter anderem zum Umgang der Parteien mit ihren ehemaligen Mitstreitern – aber auch zur möglichen vorgezogenen Bundestagswahl.

Witzel: Frau Bohley, wie geht‘s Ihnen in Kroatien?
Bohley:
Mir geht es hier ganz gut. Vielleicht, weil ich auch Abstand zu dem Geschehen in diesem Land habe. Es ist eben nicht mein Land. Aber die Leute sind freundlich und hilfsbereit. Persönlich ist mir hier nie Ausländerfeindlichkeit entgegengebracht worden. Und ich habe viel gelernt über Traditionen, die bei uns schon fast verloren gegangen sind, zum Beispiel etliches über den Wert der Familie.
Verfolgen Sie noch intensiv das Geschehen in Deutschland?
Bohley: Natürlich. Dank Internet und Satellitenfernsehen ist das ja gut möglich, außerdem bin ich oft in Deutschland oder Freunde besuchen mich.

Witzel:
Was sagen Sie zu den möglichen Neuwahlen im September?
Bohley: Natürlich ist das Zustandekommen der Wahlen eine Farce, aber gerade angesichts dieses Politiktheaters halte ich sie für unbedingt notwendig. Die Wahlen werden auch Klarheit darüber bringen, ob wir neue Parteien am rechten und linken Rand brauchen.

Witzel:
Vera Lengsfeld, Günter Nooke (beide CDU) und Werner Schulz (Bündnis 90/Grüne) werden gerade quasi ausgemustert von ihren Parteien. Ist 15 Jahre nach der Wiedervereinigung kein Platz mehr für die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler in der deutschen Politik? Und wie beurteilen Sie die Art des Umgangs mit ihnen?
Bohley: Im Prinzip bin ich der Meinung, dass Wahlen Wahlen sind und man nicht durch lange Zugehörigkeit im Bundestag für sein nächstes Mandat legitimiert wird. Von den ehemaligen Bürgerrechtlern, die heute im Bundestag sitzen, ist leider immer weniger zu hören gewesen. Das liegt aber weniger daran, dass sie nichts zu sagen hätten, sondern dass sie sich unter den gegebenen Umständen oft kein Gehör verschaffen konnten. Zu wenige waren Mandatsträger. Parteidisziplin, interne Machtkämpfe und auch das Desinteresse der Medien sind ebenfalls mitverantwortlich. Wenn heute die sperrigen Bürgerrechtler durch glatte Figuren ersetzt werden – und das trifft ja in diesem Fall auf alle Parteien zu, dann sagt das viel darüber aus, wie die Parteien in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden wollen. Griffig, einig, glatt. Zum Glück klappt es meistens nicht.

Witzel:
Hat die Politik die Bürgerrechtler überhaupt ausreichend integriert?
Bohley: Nein, das hat sie nicht. Ihre Ideale und Ziele sind oft als unpolitisch diskreditiert worden und es gab keine wirkliche Auseinandersetzung mit ihnen.
 
Dafür sind die Bürgerrechtler oft benutzt worden. Zum Beispiel von den Grünen, um wenigstens nach der Wiedervereinigung indirekt im Bundestag zu sitzen, von der CDU, um den Zusammenschluss mit der Ost-CDU erträglicher zu machen, und von der SPD, um zu beweisen, dass auch sie begriffen hat, dass die Wiedervereinigung nicht verhindert werden kann, und von weiten Teilen der Bevölkerung als Alibi, um sich nicht selbst mit der DDR-Vergangenheit auseinander setzen zu müssen. Das alles hatte aber nichts mit dem politischen Anliegen der Bürgerrechtler zu tun.

Witzel:
Sind die Ziele und Ideale von damals heute überflüssig geworden?
Bohley: Unsere damaligen Ziele und Ideale sind natürlich nicht überflüssig geworden und damit die aller anderen Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa auch nicht. Der ganze Osten war nach 1989 überfordert. Es ging in erster Linie um die Bewältigung der neuen Probleme, vor allem um Bestandsaufnahme, Existenzsicherung und Anpassung. Da mussten viele Ideale erst einmal auf Eis gelegt werden und andere haben sich natürlich auch als schöne Hirngespinste herausgestellt. Aber noch immer brauchen wir eine starke zivile Gesellschaft, eine transparente, menschlichere Politik, mehr Gerechtigkeit, mehr öffentliche Kontrolle, mehr Einflussmöglichkeiten für den Bürger usw., usw.

Witzel:
Was halten Sie von dem neuen Linksbündnis mit Lafontaine und Gysi an der Spitze?
Bohley: Gar nichts. Die Gefühle der Menschen sind sehr ernst zu nehmen, aber mit ihnen zu spielen kann für die Demokratie tödlich sein. Im Tal der Unzufriedenen wird auf Teufel hinaus gegrast und besonders gefräßig sind diese Linken. Was dabei hinten herauskommt, zeigt sich erst ein wenig später und wird nur die Politikverdrossenheit der Wähler erhöhen. Der Zusammenschluss von Bauernfängern und Linkspopulisten wird nichts bewirken. Wie eng der Rahmen heute für politisches Handeln ist, haben ja Gysi und Lafontaine selbst erfahren und schnell die Flucht vor der Realität ergriffen. Wenn sie ehrlich wären, hätten sie sich zu einer neuen KPD zusammengefunden und Deutschland hätte die Frage beantworten können, ob wir eine brauchen oder nicht.

Witzel:
Werden Sie sich in irgendeiner Form im Wahlkampf engagieren (so es denn einen geben wird)?
Bohley: So ein Interview ist hoffentlich auch ein kleiner Beitrag.
* in Bearbeitung
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