Artikel

Leipziger Volkszeitung- 30.06.2006
von Thomas Mayer

"Bosnien, meine Liebe"

Die kroatische Adriaküste ist viele hundert Kilometer lang, die Schönheit des Landes allgegenwärtig. Auch die Gegend um Omis, gut 20 Kilometer südlich von Split gelegen, ist das Land fürs Urlauben. Hier lebt im kleinen Dorf Celina seit 2000 Bärbel Bohley, geboren wenige Tage nach Ende des Zweiten Weltkrieges im zerstörten Berlin. Als sie im zu Ende gehenden 20. Jahrhundert zunächst im Auftrag von Cap Anamur und dann sogar als Beauftragte des Hohen Repräsentanten der Staatengemeinschaft im noch ganz frischen Nachkriegsland Bosnien-Herzegowina für Flüchtlinge zuständig war, die aus dem deutschsprachigen Raum zurückkehrten, lernte sie im zerstörten Sarajevo auch den Lehrer Dragan Lukic kennen.

Aus dem Kennenlernen wurde eine Ehe. Nun lebt das Paar auf den Höhen über Omis, die schroffen Berge hinter sich, die wunderbare Weite des Meeres, das je nach Tageszeit in den unterschiedlichsten Farben glänzt, tief unten vor sich.
"Fahren Sie, bis die Straße nicht mehr weitergeht. Dort wohnen wir", sagt Bärbel Bohley am Telefon. Alle, die genau so nach einigen Serpentinen zu ihr'finden, sind begeistert vom landschaftlichen Ambiente. Die Hausbesitzerin winkt ab: "Ja, es ist sehr schön, aber auch nicht einfach, hier zu leben. Es gibt keinen Lebensmittelladen, und die Müllabfuhr kommt schon gar nicht, man muss sich also bewegen. " Bärbel Bohley wird akzeptiert als Zugezogene, meist sogar mehr als ihr Mann, der Bosnier. Denn die Deutschen sind beliebt. Das Land, aus dem sie kommen, gilt als eine Kuh, die man meint, ständig melken zu können. Zeit für die Kunst - Bohley ist auch Malerin - bleibt indes nicht: "Die Kunst lebt derzeit ohne mich."

Bohley ist Bosnien noch immer sehr verbunden, obwohl sie nicht mehr dort lebt: "Bosnien, meine Liebe!" Sie möchte etwas tun, war kürzlich wieder mal bei Christian Schwarz-Schilling, dem derzeitigen Beauftragten der internationalen Staatengemeinschaft. "Ich bin gerade dabei, einen Schock zu verarbeiten. Denn ich habe erfahren, dass es in ganz Bosnien noch immer 107 Flüchtlingslager gibt, in denen Tausende bosnische Kroaten leben. Die Leute haben seit Jahren keine ärztliche Versorgung und kaum einen Zahn im Mund, sie kriegen kaum Verpflegung und leben unter unsäglichen Umständen. Diese Menschen wurden ganz einfach vergessen", sagt Bärbel Bohley. Also plant sie ein Zisternen-Projekt, sucht dafür nach finanziellen Unterstützern, klingelte deshalb jüngst in Berlin beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und beim Auswärtigen Amt an. Sie weiß noch nicht, ob sie was bekommt. Aber aufgeben, das ist auch heute nicht ihre Sache. Die Lage in Bosnien-Herzegowina hält die unternehmungshungrige Frau unverändert für hoch problematisch, "es gibt einfach zu viele Interessen, um eine einheitliche Politik machen zu können". Der Vertrag von Dayton, dank dem im Dezember 1995 der Krieg zu Ende gegangen war, sei langst zu einem Verhängnis geworden. Es sei zu spät, daraus noch etwas Vernünftiges zu machen. Weil sich in wenigen Monaten auch die Staatengemeinschaft in ihrer politischen Einflussnahme zurücknehmen will, sieht Bärbel Bohley die Zukunft nicht gerade rosig: "Vor allem kriminelle Strukturen blühen. Ich traue erst den kommenden Generationen zu, dieses Land wirklich zu heilen."

Die Gegenwart sorgt also dafür, dass für diese Frau aus Deutschland die eigene Vergangenheit mcht nur kilometermäßig ziemlich weit entfernt ist. "Ich bin zwar oft in Berlin, andererseits aber auch froh, so einen Abstand zu Deutschland zu haben. Hier kann ich auch nicht mehr ständig nach der Stasi befragt werden." Und über ihr spannendes Leben will sie auch nicht mehr reden, es war einmal...

Wer weiß eigentlich noch, dass es Bärbel Bohley war, die 1982 mit Ulrike Poppe und anderen mutigen Mitstreiterinnen die Gruppe "Frauen für den Frieden" ins Leben rief? Sie musste der SED ein Dorn im Auge sein und bezahlte ihr Aufrüh-rertum mit Gefängnis und anderen Repressalien. Im SED-Zentralorgan "Neues Deutschland" wurde sie der feindlichen Spionage bezichtigt. Am 9.. September 1989 gehörte sie zu den Unterzeichnern des Aufrufs "Die Zeit ist reif, ein leidenschaftliches Plädoyer für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel in der DDR. Bohley wurde zur Mitgründerin des Neuen Forums, das bis heute als die ultimative Verkörperung des politischen Aufbruchs in der DDR gilt. Sie blieb eine Unbequeme, wollte sich auch mit der bald folgenden bundes-deutschen Parteienhierarchie nicht anfreunden und war sogar gegen die strafrechtliche Verfolgung Erich Honeckers, weil die Bonner Regierung das SED-Regime jahrelang gestützt und somit das moralische Recht zu verurteilen verloren habe. Vehement legte sie sich immer wieder mit Gregor Gysi an, wurde nie still, ihn einen Stasi-Spitzel zu nennen.

Zerstritten sogar mit manch einem langjährigen Weggefährten, war Bärbel Bohley 1996 auf den Balkan gegangen. Sie hatte die Nase voll von Stasi-Debatte und Gauck-Behörde, sorgte fortan in Sarajevo dafür, dass vom Krieg zerstörte Dächer wieder aufgebaut werden konnten - 3200 an der Zahl und in 68 Orten. Sie lernte Land und Leute kennen, büffelte lieber deren Sprache, als dass sie richtig Englisch lernen wollte, erlebte dabei schon wieder neuen Zwist. "Die Internationalen waren ja zu oft nur da, um zu implementieren, sie betrachteten den Einsatz nur als Karrieresprung, um vielleicht auf Hawaii Botschafter werden zu können", erinnert sie sich und ist überzeugt, dass Aufbauarbeit dieser Art nicht von Erfolg gekrönt sein kann. 1999 lief ihr Vertrag mit der Uno aus. Sie blieb auf dem Balkan, kam mit Ehemann Dragan nach Omis. Sie kauften ein Haus, bauten es aus, waren sich aber im Klaren: "Man kann doch hier nicht nur runter auf die Adria gucken."

Also hatte das Paar die Idee, Kinder aus den Kriegsgebieten Ex-Jugoslawiens in den Sommermonaten für einige Wochen zu sich einzuladen und so wenigstens im Kleinen ein bisschen Völkerverständigung zu üben. Der privaten Initiative folgte die Gründung des Vereins Seestern, der sich nun Partnerorganisationen sucht. Auch in diesem Sommer herrscht wieder Leben hier. Bärbel Bohley kocht für ihre Großfamilie auf Zeit. Und Dragan, der Lehrer aus Bosnien, der in Kroatien keine Chance hat, in seinem Beruf zu arbeiten, weiß, wie er die Kinder begeistern kann.
* in Bearbeitung
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