Leipziger Volkszeitung - 10. Oktober 2008
Leipzig erinnerte gestern an den 9.
Oktober 1989 - den
entscheidenden Tag der
Friedlichen Revolution.
„Wir
hatten alle Gänsehaut"
Gewandhaus
Tiefensee würdigt
Sternstunden
2009 wird das Grundgesetz der
Bundesrepublik Deutschland 60 Jahre alt. Die Friedliche Revolution, bei
der mutige Ostdeutsche die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes durch ihr
Eintreten für Freiheit und Menschenrechte erweitert haben, liegt dann 20
Jahre zurück. Um die Bedeutung dieser Ereignisse für das demokratische
Bewusstsein der Deutschen ging es gestern Abend beim Demo-kratieforum im
Gewandhausfoyer. „Wir feiern zwei Ereignisse", so Bundesverkehrsminister
Wolfgang Tiefensee (SPD), „die Sternstunden der
Demokratiegeschichte unseres Landes darstellen."
Gast der traditionellen Veranstaltung, zu
der erneut hunderte Leipziger kamen, war auch Bärbel Bohey, die
Gründungsini-tiatorin des Neuen Forums: „Bei den Bildern aus Leipzig ist
uns damals ganz kalt geworden. Denn wir wussten, welche Stärke dieser
Schritt die Menschen gekostet hat, aber auch welche Stärke sie
vermittelt haben", sagte Bohley. „Die Menschen sind nicht wegen Bananen,
sondern für ihre Selbstbestimmung auf die Straße gegangen." Ulrike
Poppe, Mitinitiatorin der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt: „Die Empörung
hat sich an vielen Anlässen entzündet." Das betonte auch der
Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer, der an die Flucht- und
Ausreisewelle von 1989 erinnerte. „Es gingen so viele weg. Das war nicht
mehr zu ertragen."
Artikel erschienen in der Leipziger Volkszeitung, Freitag, 10. Oktober 2008
UMFRAGE
Der Herbst 1989 ging in die Geschichte
ein. Diese Zeitung fragte Leipziger und Gäste der Stadt, was sie
persönlich mit dieser Zeit verbinden.
Falk-Gert Pasemann war am
9. Oktober 1989 gerade nicht in Leipzig. „Ich habe aber in Gera im
Fernsehen gesehen, was hier los war", erzählt der 57-Jährige. Am Montag
darauf, also am 16. Oktober, sei er dann mit seiner Frau auch selbst in die Innenstadt
gegangen. „Wir hatten alle Gänsehaut", beschreibt der Leipziger seine
Gefühle. „Je mehr Menschen kamen, umso leiser wurde es." Er habe zum
ersten Mal in seinem Leben eine sich selbst steuernde Menschenmasse
gesehen. „Es gab niemanden, der Anweisungen gab", erzählt er. „Nur von
hinten rief es, Loslaufen'" Bei späteren Kundgebungen habe je er
die Beschallung für den Augustusplatz organisiert, die Leute
ermuntert, Reden zu halten.
Aus einem anderen Blickwinkel heraus hat
Brunhilde Dilly den 9. Oktober 1989 erlebt. „Ich komme aus
Rheinland-Pfalz und habe damals vor dem Fernseher gesessen", erzählt die
46-Jährige. „Ich habe total bewundert, dass die Leipziger aufgestanden
sind." Auch wenn, so meint sie weiter, an diesem Tag natürlich noch
niemand ahnen konnte, dass einen Monat später die Mauer fallen würde.
Besonders beeindruckend ist für sie die Rolle der Kirche in der
Demokratiebewegung.
Werner Hauke wohnt seit 2001 in
Berlin, lebte 1989 in Leipzig. „Ich war jeden Montag dabei", erzählt er.
„Damals war ich 51 Jahre alt." An einem Besenstiel hatte er eine Tafel
befestigt - und jeden Montag eine neues Plakat darauf geklebt. Mit einer
Botschaft, zum Umweltschutz, zu den Menschen-rechten. „Das war für mich
eines der beeindruckendsten Erlebnisse meines Lebens", sagt Hauke über
den '89er Herbst.
Gar keine Erinnerungen an die Friedliche
Revolution hat dagegen Sonja Seidel. Sie war damals gerade drei
Jahre alt. „Aber ich kenne den 9. Oktober 1989 aus Erzählungen und aus
der Schule, wo dieser Teil der deutschen Geschichte eine große Rolle
gespielt hat", erklärt die Studentin.
Der gleichaltrige Benjamin Niedermann
stammt aus Meersburg am Bodensee. „Bei uns in der s Schule wurde die DDR
fast gar nicht behandelt", erzählt er. „Das, was ich weiß, habe ich
erzählt bekommen oder in Dokumentationen gesehen."
Das war bei Gerhard Sopart ganz
anders. „Ich habe das alles erlebt", erzählt der 49-Jährige. „Noch heute
sehe ich die Volkspolizei, wie sie sich drohend aufgestellt hat." Mit
einer Kerze sei er am 9. Oktober auf dem Ring mitgelaufen. „Das bewegt
mich noch heute."
Hilde Bauder aus dem schwäbischen
Heidenheim hat die Fernsehbilder dieser Zeit noch vor Augen. „Ich war
sehr beeindruckt von den Menschen, die da auf die Straße gegangen sind."
Sie habe auch ein bisschen Angst um die Leute gehabt. „Aber es war ja
alles friedlich", sagt die 69-Jährige. „Menschen haben gewaltlos
Widerstand geleistet."
Linda Potenz
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