Berliner Morgenpost 31. Mai 2009
Bärbel Bohley - Jeanne d'Arc der
friedlichen Revolution
Sonntag, 31.
Mai 2009 03:26 - Von Michael Mielke
Kein anderer DDR-Bürgerrechtler ist so
bekannt geworden wie Bärbel Bohley, die Malerin aus Prenzlauer Berg. Sie
wollte den Arbeiter- und Bauern-Staat von innen verändern - und wurde
zweimal verhaftet. Für einen Spaziergang mit Morgenpost Online hat sich
Bärbel Bohley einen Kiez mit doppelter Bedeutung ausgewählt.
Foto: Lengemann
Bärbel Boley, DDR Bürgerrechtlerin,
Mitbegründerin des Neuen Forums
Ihre Stimme ist noch immer unverwechselbar: zart, verletzlich, manchmal
aber auch, als schöbe sie eine Welle der Empörung vor sich her. Diese
Stimme ist bekannt geworden in den Nachrichtensendungen des Herbstes
1989. Sie hat Mut gemacht, elektrisiert, und sie wurde - in Wachzimmern
der Stasi und in Büros von SED-Bonzen - auch abgrundtief gehasst. Kein
anderer DDR-Bürgerrechtler ist so bekannt geworden wie Bärbel Bohley,
die Malerin aus Prenzlauer Berg.
Sie wohnt wieder in ihrem alten Kiez, in ihrer Parterrewohnung in der
Fehrbelliner Straße. Eine kleine Frau mit einem sanften Gesicht, der man
die 64 gelebten Jahre nicht ansieht. Sie hat sich eine grüne Mütze
aufgesetzt, um die Folgen der Chemotherapie zu verbergen. Unmittelbar
vor diesem Treffen war sie mal wieder im Krankenhaus Buch bei einer
Behandlung gegen den Krebs. Auf die Frage, ob sie den Spaziergang
wirklich schaffe, reagiert sie gereizt: "So krank bin ich nicht. Sonst
wäre ich ja wohl nicht gekommen."
Als Ort für diesen Spaziergang hat Bärbel
Bohley einen Kiez mit doppelter Bedeutung ausgewählt. Hier wuchs sie
auf, und hier befindet sich - wenige Schritte entfernt - auch das neue
Regierungsviertel. Der Rundgang beginnt am Karlsplatz. Gleich gegenüber,
in der Reinhardtstraße 41, wohnte eine Freundin. "Da habe ich gleich die
erste Geschichte", sagt Bärbel Bohley. "Über eine meiner ersten harten
Lehrstunden." Doch es geht nicht etwa um Stasi-Knast oder politische
Einschüchterung. Sie erzählt lächelnd, wie sie als Zehnjährige mit
dieser Freundin auf dem Hof an einer Teppichklopfstange turnte. Obwohl
der Vater der Freundin immer wieder gewarnt habe, dass die Stange nur
lose im Mauerwerk verankert sei und herausgerissen werden könne - was
eines Tages auch wirklich geschah. Der Vater hatte sie dann neu
eingemörtelt. Und die beiden Mädchen mussten sie festhalten, bis der
Mörtel halbwegs getrocknet war. Danach haben sie nie wieder daran
geturnt.
Von der Stasi ständig beobachtet
Von den Mietskasernen, die hier früher
standen, wurden fast alle abgerissen. Aber geblieben sind die
Erinnerungen. Auch an ihren eigenen Vater. Einen ehemaligen Neulehrer,
der nach dem Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953 seine Stelle als Lehrer
verlor, weil er sich weigerte, der SED beizutreten. Und der viel über
seine schlimmen Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg erzählte und dazu
beitrug, dass die Tochter bis heute Pazifistin ist und auch mit alten
Freunden wie Wolf Biermann über den Krieg im Irak in Zwist geriet.
1963 machte Bärbel Bohley das Abitur. Sie
wusste noch nicht, was sie studieren sollte, und lernte
Industriekauffrau. Erst sechs Jahre später ließ sie sich an der
Kunsthochschule in Berlin-Weißensee immatrikulieren. Seit 1974 arbeitete
sie als freischaffende Künstlerin. Die Staatssicherheit hat die junge
Malerin zu dieser Zeit schon zielsicher im Visier. Und in den
umfangreichen Akten ist dann auch alles fein säuberlich aufgelistet:
ihre Freundschaft mit Katja Havemann, der Ehefrau des damaligen
Staatsfeindes Nummer eins, des Dissidenten Robert Havemann.
Ebenso Bärbel Bohleys Aktivitäten bei der
Gründung der unabhängigen Initiativgruppe "Frauen für den Frieden" im
Jahr 1982. Damals begann ihre tiefe Freundschaft zu Petra Kelly. Die
Grünen-Politikerin hatte sich auf dem Alexanderplatz angekettet und die
Einhaltung der Menschenrechte in der DDR gefordert. SED-Chef Erich
Honecker lud Petra Kelly daraufhin - bewusst medienträchtig - zu einem
Gespräch ein. Bärbel Bohley ließ ihr über einen Journalisten einen Brief
zukommen und bat sie, wenn sie doch schon mal offiziell in Ost-Berlin
sei, auch die Gruppe "Frauen für den Frieden" zu besuchen. Und Petra
Kelly kam. Seitdem riss der Kontakt zwischen den Frauen nicht mehr ab.
Und die unkonventionelle Grünen-Politikerin sorgte dann auch für
internationalen Protest, als die Stasi Bärbel Bohley 1983 wegen
angeblicher "landesverräterischer Nachrichtenübermittlung" verhaftete.
Nach sechs Wochen wurde sie aus der Haft entlassen.
Sie wusste natürlich, dass sie spätestens
seit dieser Zeit von der Stasi intensiv beobachtet wurde. Sie hatte
trotzdem weitergemacht. "Wir haben uns aber nie Oppositionelle genannt",
erinnert sie sich. "Das wäre gefährlich gewesen", denn Oppositionelle
seien im DDR-System als Feinde betrachtet worden. "Aber wir fühlten uns
nicht als Feinde und wollten auch nicht wie Feinde behandelt werden. Wir
wollten die DDR von innen verändern und blieben auch unter
DDR-Verhältnissen gesprächsbereit, selbst wenn wir nicht an schnelle
Veränderungen glaubten."
Die Geschichte von den verschwundenen
Sandalen
Der Spaziergang führt
jetzt direkt an der Spree vorbei. Hier folgt die zweite Geschichte. Die
von den weggespülten Sandalen, die eigentlich ein Geburtstagsgeschenk
sein sollten. Bärbel Bohleys Mutter hatte sie Anfang der 50er-Jahre
jenseits des Tiergartens gekauft. Die kleine Bärbel musste sie anziehen
und so über die Sektorengrenze in den Ostteil schmuggeln. An der Spree
traf sie Schulkameraden. Die neuen Schuhe wurden ausgezogen und sorglos
an den Uferrand gestellt. Bis ein Polizeiboot kam und die Bugwelle die
Sandalen ins Wasser riss. Es folgte eine gemeinsame verzweifelte Suche.
"Aber wir haben sie nie wieder gefunden", sagt Bärbel Bohley. Zu Hause
habe es dann gleich zwei Mal Ärger gegeben. Am selben Abend, weil sie so
spät vom Spielen kam. Und wenige Tage später, an ihrem Geburtstag, als
die Mutter merkte, dass die Schuhe verschwunden waren.
Der Fotograf dirigiert Bärbel Bohley vor
eine Brüstung. Das könnte d a s Bild werden, sagt er. Sie lächelt, hält
das Gesicht in die Sonne und genießt die Wärme. Das hat etwas
Anrührendes. Auch weil sofort der Gedanke an ihre Krankheit hochkommt
und an die simple Wahrheit, dass dieses Leben, wann immer es möglich
ist, genossen werden sollte, weil sich ja keiner dieser Augenblicke
wiederholen wird. Und weil nichts rückgängig zu machen ist, was einmal
gelebt und manchmal auch vertan ist.
Bärbel Bohley kann verzeihen - bedingt
Kann sie verzeihen? Ja, sie kann. Würde
sie mit ehemaligen Freunden und Bekannten sprechen, die sie bespitzelt
und ihr Vertrauen missbraucht haben? Kommt darauf an, vermutlich hätte
sie es getan. Aber es ist keiner gekommen. In all den Jahren nicht. Und
jetzt wäre es zu spät. Nur ein Vernehmer habe mit ihr sprechen wollen,
sagt sie, das jedoch habe sie abgelehnt. "Ich lernte den im Stasi-Knast
in der Vernehmerzelle kennen. Und ich wüsste nicht, warum ich mir nun
später von ihm anhören sollte, dass er das ja eigentlich alles gar nicht
gewollt habe."
Sie sagt das ohne Hass, eher mit
ironischer Distanz. Und sie fügt mit der für sie typischen Logik hinzu:
"Ich war zweimal in Hohenschönhausen in Untersuchungshaft. Ich wusste
einfach, wer hier in diesen Räumen arbeitet und noch einen menschlichen
Funken in sich hat, und sei es nur, dass er seiner Frau zum Hochzeitstag
Blumen mit nach Hause bringt, der will hier irgendwann raus." Sie habe
damals gedacht: "Hinter diesen Gitterstäben, in dieser sinnlosen
Unterdrückungsmaschine ist alles so unmenschlich, dass selbst die
Unterdrücker befreit werden wollen."
Mit einer spektakulären Aktion nach England
abgeschoben
Anfang 1988 wurde Bärbel Bohleys zum
zweiten Mal verhaftet. Ausreisewillige DDR-Bürger hatten bei der
staatlich organisierten Gedenkdemonstration an die Ermordung von Rosa
Luxemburg und Karl Liebknecht Transparente mit einem Luxemburg-Zitat in
die Kameras gehalten: "Die Freiheit ist immer die Freiheit der
Andersdenkenden". 120 wurden verhaftet. Angehörige kamen zu Bärbel
Bohley, die zu dieser Zeit als Bürgerrechtlerin schon bekannt war, und
baten um Hilfe. Sie richtete ein Kontakttelefon ein, wandte sich an den
damaligen Konsistorialpräsidenten der evangelischen Kirche, Manfred
Stolpe.
Zehn Tage später wurde sie
festgenommen, nach Hohenschönhausen gebracht und nach einigen Tagen
Gefängnisaufenthalt mit einer spektakulären Aktion nach England
abgeschoben. Zunächst ohne Chance auf Rückkehr. Aber wieder halfen
öffentliche Proteste. Nach sechs Monaten mussten die DDR-Oberen sie
wieder zähneknirschend ins Land lassen - und sie wurde zur "Jeanne d'Arc
der friedlichen Revolution". So zumindest wird sie auch heute noch von
dem Bürgerrechtler Jens Reich beschrieben, der mit ihr und weiteren
Oppositionellen 1989 die Bürgerbewegung Neues Forum gründete.
Für Bärbel Bohley war es "die schönste Zeit
in meinem Leben". Ihre Parterrewohnung in Prenzlauer Berg wurde zum
Treffpunkt der Opposition. Und den Aufruf "Die Zeit ist reif"
unterzeichneten binnen weniger Wochen mehr als 250 000 DDR-Bürger. Sie
habe nicht viel von Karl Marx gelesen, sagt sie. Aber für "diese
verrückten, wunderbaren Tage" gebe es kaum ein treffenderes Zitat als
jenes aus der Schrift "Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie":
"Man muss die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen", schreibt
Marx. Genau das sei im Herbst 1989 geschehen: "Wir haben die
Verhältnisse in der DDR zum Tanzen gebracht. Und nur weil wir sie zum
Tanzen brachten, ohne Gewalt, ist eigentlich auf wirklich wundersame
Weise dieses Wunder geschehen."
1996 kehrt sie Deutschland den Rücken
Es ist jetzt viel Beton zu sehen auf dem
von Bärbel Bohley gewählten Rundgang. Vor uns dehnen sich das
Paul-Löbe-Haus und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus. Dahinter lugt die
gläserne Kuppel des Reichstags hervor. "Gut, dass es den wenigstens noch
gibt", sagt sie. "Aber das andere?" Sie schüttelt abfällig den Kopf.
"Wir gestalten hier die Zukunft Deutschlands, hieß es. Und was ist
daraus geworden? Kein Traum, keine Vision, nur
Schaumschlägerarchitektur."
Diese
Enttäuschung hat etwas Allegorisches. Sie erinnert an das Frühjahr 1990,
an die erste freie Wahl in der DDR, bei der das Neue Forum keine Rolle
mehr spielte und Vertreter etablierter Parteien das Ruder übernahmen.
Bärbel Bohley bedauert das: "Dieses Gefühl, das den Osten wirklich
bewegt hat und das so viel Energie besaß, ist leider sehr schnell
untergegangen."
Die Bürgerrechtlerin wollte keine Macht,
keinen lukrativen Posten mit Pensionsansprüchen. Sie hat sich schon
deswegen nie um Spielregeln gekümmert und betont auch heute noch, dass
sie nie einer Partei beitreten würde. "Ich kenne keine, die wirklich
mündige Bürger hervorbringt." Anderseits bedauere sie schon, sich damals
nicht aktiver verhalten zu haben. "Manchmal denke ich, wir hätten nach
Bonn fahren und zu Helmut Kohl sagen sollen: Jetzt reden Sie mal mit uns
und nicht mit Herrn Diestel und nicht mit Herrn Modrow und nicht mit
Herrn Krause. Aber auch wir waren irgendwie eng im Kopf."
1996 kehrte Bärbel Bohley Deutschland den Rücken. "Ich habe mich damals
gefragt, was mache ich jetzt? Lebt man jetzt nur noch, damit man
rumgereicht wird, wenn es irgendwelche runden Jahreszahlen gibt? Es hat
mich genervt, die ewige ,Mutter der Revolution' zu sein."
Sie half, in Bosnien zerstörte Häuser wieder
aufzubauen und Brunnen zu bohren. Und sie organisierte für
Flüchtlingskinder kostenlose Ferienaufenthalte. In Bosnien lernte sie
auch ihren Ehemann, den Lehrer Dragan Lukic, kennen. Er blieb in der
Heimat, als sie 2008 krank wurde und für immer zurück nach Deutschland
ging.
Was folgen wird, ist offen.
In ihrem Kiez in Prenzlauer Berg wird sie nicht bleiben, es ist ihr
alles fremd geworden dort. Vielleicht wird sie an den Stadtrand ziehen,
Friedrichshagen könnte ihr gefallen. Vielleicht wird sie auch wieder
malen. "Ich weiß es noch nicht", sagt sie. "Ich habe mich in letzter
Zeit ein bisschen mit der Krankheit beschäftigen müssen. Jetzt geht es
mir wieder ganz gut. Und nun werden wir sehen, wie es weitergeht."
Quelle:
Berliner Morgenpost, 31.05.2009