Mai 2006
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Zitate, vorgetragen von der Schauspielerin Katrin Saß auf der Gedenkfeier für Bärbel Bohley in der Akademie der Künste (2010).

»Und ob ich im Westen angekommen bin? Ich weiß gar nicht, ob ich das wollte. Ich habe darüber nie nachgedacht. Ich habe nie versucht, in einem System anzukommen. Ich wollte in keinem System ankommen, sondern da, wo man Mensch sein kann.«

»Wende? Der ist für mich wirklich kein guter Begriff. Ich finde das schon sehr schön mit der Revolution. Das war sie, weil mit den Menschen und in den Menschen so viel passiert ist. War schön. War sehr schön. War etwas Großartiges in meinem Leben, was mir keiner mehr nehmen kann. Ich glaube, wenn man das so`n bisschen bewusst erlebt hat und sich nicht völlig überrollt gefühlt hat – da gibt es ja sicher auch viele -, dann ist das etwas, was einem Kraft gibt. Man weiß: Dinge können sich von Grund auf ändern, das ganze Leben. Das ist was Hoffnungsvolles. Der zäheste Brei kann zum Vulkan werden.«

»Die Wurzeln meines Verhaltens liegen in meiner Kindheit, denke ich. Ich bin 1945 geboren geworden. Die Menschen aus meiner Generation haben früh gelernt, dass man dem anderen etwas abgibt. In den Nachkriegsjahren war es selbstverständlich, dass man sich half, so gut man konnte. Mit dem Egoismus, der heute herrscht, hätte man damals nicht überleben können.«

»Ich habe immer gemacht, was ich für richtig halte. Wissen Sie, ich habe mich zwei-, dreimal in meinem Leben geschämt für etwas, was ich nicht getan habe. Kleinigkeiten. Aber dieses innere Rotwerden wollte ich mir ersparen. Das eine Mal, das ist ewig, ewig her, da war ich so 17. Vor mir an der Currywurstbude an der Schönhauser Allee stand ein Junge, der wollte ´ne Currywurst. Vor uns waren noch zwei Leute. Der Junge hatte nicht genug Geld und zog ganz bedrippt davon. Innerlich habe ich mich dermaßen aufgeregt über den Mann, der hinter ihm stand, dass der ihm das Geld nicht einfach gibt. Und dann bin ich schon weg, da denk ich, warum habe ich ihm denn nicht das Geld gegeben. Ha! Das war so was Furchtbares. Da hab ich mich geschämt. Heiß war mir und schlecht.«

»Diese historische Rolle lehne ich einfach ab. Der Herbst 1989 war das Erlebnis von vielen – und diese geteilte Freude war gut und das Besondere. Ich meine, wer kannte denn in der DDR Bärbel Bohley, jetzt mal ehrlich. Ich gehöre nicht zu denen, die vergessen haben, was wir eigentlich wollten. Wir wollten nämlich nicht unbedingt, dass die Mauer fällt, daran haben wir gar nicht gedacht. Und wenn heute viele sagen, sie wollten die Wiedervereinigung, dann haben sie vergessen, dass sie Freiheit wollten. Und zwar in ihrem Leben, das sie in der DDR führten. Alles andere kam später.«

»Der Osten war eine Vitaminspritze für den Westen. Jetzt sind die Vitamine aufgebraucht, die lukrativen Spekulationsobjekte sind verteilt. Die Kassen sind leer, und der Westen sieht in weiten Teilen so aus wie der Osten vor zwanzig Jahren. Ja, auf leisen Sohlen ist der derbe Osten in den feinen Westen gekommen, an den Hacken klebte noch die lehmige mecklenburgische Erde, vermischt mit Kuhmist und Hühnerkacke. Keiner hat es gemerkt, aber plötzlich war er da, der Osten im Westen, und verändert ihn Tag für Tag seit zwanzig Jahren, nimmt ihm die Schminke, macht ihn realer, zeigt ihm seinen Platz in der Welt. Wir haben das schon hinter uns, was ihr vor euch habt. Ihr könnt von uns lernen.«

»Mich regen diese Widersprüche nach wie vor auf, die um uns herum existieren. Diese Finanzkrise kommt ja hier nur sehr abgemildert an, und wir reden nicht darüber, was in anderen Ländern jetzt passiert. Die werden völlig vergessen, die hungernden und sterbenden Kinder. Das ist doch furchtbar. Es gibt gar kein neues Denken, immer nur in dieser Richtung. Ich bin da nicht schadenfroh, aber ich sehe: Wir werden lernen müssen. Auf eine sehr unangenehme Weise werden wir unsere Lehren ziehen. Es wird immer nur der Wunsch geschürt, mehr zu konsumieren. Aber ich bin doch nicht glücklicher, wenn ich ein paar Schuhe mehr habe. Die Frage nach neuen … oder ganz alten Werten, die steht wieder an. Und 1989 hätten wir auf viele dieser Fragen gute Antworten geben können.«

»Die DDR wollte Gehorsam und zog Widerständler heran, unser Staat will den mündigen Bürger und erntet ein Schulterzucken. Im gewissen Sinne ist es einfacher, in einer Diktatur auf die Straße zu gehen als in einer demokratischen Gesellschaft, die unzählige Möglichkeiten für Ablenkung und für Freizeitspaß bietet. Aber der Staat greift weiterhin ständig ins Leben des Einzelnen ein. Geistige Unterdrückung gibt es auch heute.«

»Ich habe nach der Wende lange außerhalb von Deutschland gelebt. Als ich zurückkam, fiel mir auf, dass die Beziehungen zwischen den Menschen kälter geworden sind. Die Leute haben schicke Sachen an, aber leere Gesichter. Es herrscht eine zunehmende Vereinzelung, und es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, das den Leuten bewusst zu machen. Wenn sie das erkennen, werden sie sich mehr für ihre Interessen engagieren und die Gestaltung dieses Landes nicht nur der Politik überlassen.«

»Wenn Widerstand sich darauf beschränkt, alle vier Jahre irgendwo sein Kreuzchen zu machen, wird sich nicht viel ändern. Doch leider haben die Bürger in unserer Demokratie viel zu wenige Möglichkeiten, sich an politischen Entscheidungen zu beteiligen. Das Volk darf bei uns ja nicht mal den Bundespräsidenten wählen. Deshalb bröckelt auch die Zustimmung zur Parteiendemokratie. In Bosnien, wo ich zwölf Jahre lebte, habe ich Ähnliches bemerkt. Die Menschen dort hatten große Hoffnungen für ihre demokratische Zukunft. Aber dann wurde ein System installiert, das wesentlich weniger Möglichkeiten der Teilhabe bot, als sie erwartet hatten. Wir tun so, als wäre unsere Demokratie perfekt, und übersehen dabei, dass viele Menschen gute Gründe haben, sich von dieser Demokratie nicht vertreten zu fühlen.«

 

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"Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat."

Über die Enttäuschung vieler Bürgerbewegter über die unzureichende juristische Aufarbeitung des DDR-Unrechts in der Bundesrepublik:

"Da ändert sich nicht alles mit einer Cola-Flasche oder einem neuen West-Auto. Das macht einen nicht zum neuen Menschen."

"Es gibt in einer Diktatur nichts Wichtigeres als die Unterstützung der Bürgerrechtler von außen."

Zum Krieg:
"Ich finde es so schrecklich, weil doch fast immer nur Unschuldige getroffen werden und die nächsten Terroristengeneration schon wieder in Sicht ist. Auch wieder nur Ausdruck des Versagens der Internationalen Gemeinschaft." 25.07.2006

Über Robert Havemann:
Die Bürgerbewegung wäre Robert sympathisch gewesen. Politische Macht hat ihm viel bedeutet, aber nicht um jeden Preis. Seine Selbstachtung und selbständiges Denken waren ihm wichtiger. Zum richtigen Zeitpunkt seine Mitverantwortung für den Lauf der Geschichte wahrzunehmen und zu handeln, das verband ihn mit uns.
Robert Havemann oder Wie die DDR sich erledigte, Katja Havemann, Joachim Widmann, Ullstein Verlag, Berlin 2003

Mein Platz ist in der Opposition.
„taz“, 26.2.1990

Ich kenne keine Partei, die mündige Bürger hervorbringt.
„taz“, 8.1.1990

Zur Maueröffnung:
Ich denke, daß jetzt doch einige Politiker im Westen Schweißtropfen auf der Stirn haben, und die haben sie sich, glaube ich, auch verdient. Da muß der Westen durch und da müssen wir durch.
Interview im NDR, „Das Morgenecho“, 10.11.1989, 6.10 Uhr

In der DDR hat es nicht einmal fünf Minuten Sozialismus gegeben.
Auf einer auf einer Veranstaltung im Gästehaus der FDJ am 4.11.1989; Diskussion mit Bärbel Bohley, Tamara Danz, Dieter Dehm, Jürgen Eger, Klaus Jentzsch, Toni Krahl, Heinz-Rudolf Kunze, Dirk Zöllner u. a.

Es gibt keine Möglichkeit, sich mit diesem Land zu identifizieren. Diese Umwahrheit, die hier herrscht, diese Lüge. Jeder weiß doch, daß es nicht so ist, wie offiziell behauptet wird. Und diese Situation verbietet es einem geradezu, sich mit der DDR zu identifizieren.
„Hamburger Morgenpost, 16.9.1989

Ohne die viel geschmähte Opposition geht es nicht, zu der wir uns endlich bekennen sollten.
„taz“, 24.1.1989

"Warum wollen Sie zurück in die eingemauerte DDR?
Ich will unbedingt zurück, ich bin ja auch nicht freiwillig weggegangen. Bezeichnenderweise wird mir die Frage vorwiegend in Westdeutschland gestellt. In England hat mich niemand gefragt, warum ich wieder zurück gehe. Wenn ich aus Südafrika wäre, würde sich wahrscheinlich niemand wundern, warum ich wieder nach Hause fahre.
„Der Spiegel“, 8.8.1988

Ich bin eigentlich ein friedlicher Typ. Ich weiß überhaupt nicht, warum die Mächtigen solch eine Wut auf mich haben.
„Der Spiegel“, 8.8.1988

Wenn ich nur hätte malen wollen, wäre ich mit 30 aus der DDR weggegangen. Aber mein Leben ist halt nicht nur Malerei.
„Der Spiegel“, 8.8.1988

"Mein Oppositionsgeist ist immer sehr persönlich.“
„Die Zeit“, 25.3.1988