Interview

 

DIE ZEIT - 17.09 2009

Herbsthimmel

Fünf Fragen an die Berliner Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley

DIE ZEIT: Frau Bohley, verdient Berlin den Titel Heldenstadt?

BOHLEY: Nein, das Wort ist schrecklich, es erinnert mich ans tiefste Sibirien. Wir sollten auf solche Wörter verzichten, nachdem wir im Sozialismus so viele Helden und Orden hatten. Es gab 1989 Menschen, die sich heldenhaft verhielten. Aber Städte? Ich hasse Heldenstädte!

ZEIT: Wer ist Ihr Held des Herbstes 1989?

BOHLEY: Keine einzelne Per­son. Ich bewundere alle, die damals etwas beweg­ten. Wichtig war das Ge­fühl, dass wir gemeinsam das Land verändern. Und das Schöne an der Gemeinsamkeit: dass sie eine frei gewählte war, keine staatlich verordnete.

ZEIT: Welches war Ihr schlimmster Angstmoment?

BOHLEY: In Berlin? Da war ich angstfrei. Aber um Leipzig habe ich gezittert. Die Bilder von den De­monstrationen waren so dunkel, dazu das fla­ckernde Licht, man sah, wie brüchig die Situation war. Berlin hatte am Mittag des 4. November ei­nen schönen hellen Herbsthimmel, außerdem marschierte der Chef der Auslandsspionage mit. Wovor sollte man sich da noch fürchten?

ZEIT: Wo haben Sie selber Mut bewiesen?

BOHLEY: Ach Gott, Sie stellen peinliche Fragen. Im Herbst 1989 hatte ich keine Zeit, über Mut nach­zudenken. Ich hätte ein Sekretariat und einen Führerschein gebraucht, denn es gab so viel zu tun. Das Neue Forum entstand ja über Nacht und musste erst strukturiert werden. Wir hatten keine Räume, keine Telefone, keine Kopierer. Rein tech­nisch gesehen befanden wir uns noch im Mittel­alter. Aber die Situation erforderte, dass man sich schnell verständigte und informierte - zum Bei­spiel, als am 7. Oktober in Berlin so viele Leute verhaftet wurden. Da mussten wir politischen Druck organisieren und dafür sorgen, dass die Ver­hafteten Unterstützung bekamen.

ZEIT: Wo soll das Denkmal für Freiheit und Ein­heit stehen?

BOHLEY: Ganz ehrlich gesagt kann es gar nicht ge­nug Denkmäler geben. Kleine und große. In Ber­lin, in Leipzig und anderswo. Schön wäre, wenn viele Leute sich erinnern an das, was sie damals wollten. Nämlich eine selbstbestimmte Gesell­schaft, die sie mitgestalten.

DIE FRAGEN STELLTE EVELYN FINGER