Interview
RHEINISCHE POST -
17.10.2001
Die Fragen stellte Antje Möhring
Amerikanische Außenpolitik
Sicher
sind in der amerikanische Außenpolitik in den letzen Jahrzehnten viele
Fehler gemacht worden. Aber welche der beiden Weltmächte hat aus
Machtinteressen nicht Kräfte gefördert, die die Menschenrechte mit Füßen
getreten haben? Mich packt die Wut, wenn ich dieses Argument höre, denn
nichts rechtfertigt den Terror. Er ist keine Antwort auf verfehlte
Diplomatie, Wirtschaftssanktionen und Globalisierung. Ursachenforschung
ist wichtig und sowohl Stärke als auch Schwäche vieler Intellektueller.
Wer jedoch bei der Suche nach den Gründen für unmenschliches Verhalten
den Opfern nicht mehr Platz einräumt als den Tätern, hält zwar angeblich
die Waage der Gerechtigkeit im Gleichgewicht, macht sich aber in
Wirklichkeit mitschuldig an den Verbrechen der Täter, ob sie nun es
Sexualtäter oder mordende religiöse Fundamentalisten sind.
Mit oder ohne Globalisierung
Mit oder
ohne Globalisierung – wann war die Welt denn schon einmal gerecht?
Wenn alle Hungernden, Geschlagenen und Ausgebeuteten dieser Welt auf ihr
Schicksal mit Terror gegen den Rest der Menschheit antworten, dann ist
die Welt bald nicht mehr nur ein Pulverfass, sondern die Hölle selbst.
Hinter den verführten Selbstmördern und Attentätern stehen keine Opfer
der Globalisierung, sondern machtbewusste und perfide Drahtzieher, die
nicht einmal vor Massenmord zurückschrecken und ihr eigenes Volk in den
Untergang treiben, weil sie ihre unmenschliche Geisteshaltung weltweit
verbreiten wollen.
Terrorakte aus das World Trade Center
Die
Terrorakte auf das World Trade Center und das Pentagon waren eine
Kriegserklärung an die USA, die man nicht einfach zu den Akten legen
kann. Auf Terror allein mit diplomatischen Aktivitäten zu antworten, hat
sich bereits in Bosnien als Illusion und grausam gegenüber den
betroffenen Menschen erwiesen. Allerdings ist die Angst gerechtfertigt,
dass sich militärische Gegenschläge nicht nur an den Realitäten
orientieren, sondern leicht einen Selbstlauf bekommen, vor allem, wenn
man die Teilnehmer der Antiterrorallianz genauer betrachtet. Was wird
nach den Gegenschlägen kommen? Wenn Herr Putin im Deutschen Bundestag
für sein Rede wahre Ovationen erntet, bekomme ich Angst vor der Zukunft.
Wie immer: wir haben nichts gelernt. Was haben wir diesem Schlapphut,
der sein Deutsch als KGB-Mann in Dresden gelernt hat, zu verdanken? Ob
es die Wiedervereinigung auch gegeben hätte, wenn er statt Gorbatschow
regiert hätte? Für mich sind ein Staatsbesuch und eine Rede im Deutschen
Bundestag noch immer zweierlei. Staatsbesuche machen alle, reden sollten
nur Freunde. Wer das durcheinander bringt, zeigt, dass sein politisches
und moralisches Koordinatensystem nicht stimmt. Anstatt mit Russland in
einen Dialog über das tschetschenische Drama zu treten, wird
signalisiert, wir akzeptieren die russische Haltung gegenüber
Tschetschenien.
Erscheinungsbild der westlichen und
islamischen Kultur
Es geht
nicht nur um das gegenwärtige Erscheinungsbild der westlichen und
islamischen Kultur, sondern auch um ihre Geschichte. Und wer die und
seine Kultur ein wenig kennt, weiß, dass keine besser oder schlechter
ist. Die Taliban repräsentieren genauso wenig die islamische Kultur wie
die Nazis die europäische Kultur repräsentiert haben. Das bedeutet
nicht, dass es nicht große Unterschiede zwischen diesen Kulturen gibt.
Aber es fällt uns schwer, diese zu akzeptieren, weil die islamische sehr
viel patriarchalischer und familienorientierter ist als die unsrige.
Dabei vergessen wir, dass man in diesen Ländern nur mit diesen
Strukturen überleben konnte – von Bosnien bis Afghanistan. Hoffen wir,
das die Antiterrorallianz einen Dialog der Kulturen eröffnet. Die Chance
ist jedenfalls da.
Multikulturelle „Idylle“
Die
Vision einer multikulturellen „Idylle“ ist für mich spätestens in
Bosnien zerplatzt, aber nicht der Glaube, dass Menschen
unterschiedlicher Kulturen miteinander friedlich leben können. Gerade
New York ist ja das beste Beispiel dafür und auch Sarajewo war eine
Stadt, in der Menschen unterschiedlichen Glaubens und verschiedener
Traditionen dies getan haben. Multikulturelle Gesellschaften aber müssen
ebenso wie die Demokratie, ständig verteidigt werden, damit die
schwelenden Probleme nicht von ihren Feinden instrumentalisiert werden
können. Das sind keine Idyllen, sondern Orte, an denen man sich mit der
Kultur des Nachbarn und seiner Geschichte ständig auseinandersetzen
muss, um das friedliche Zusammenleben realisieren zu können. Die Sorgen
und Probleme des anderen müssen so ernst genommen werden, als wären es
die eigenen. Solidarisches Denken und Handeln, Miteinander und nicht
Nebeneinander, sind Voraussetzung für das friedliche Leben in
multikulturellen Gesellschaften. Gerade die Globalisierung muß von
dieser Solidarität begleitet sein.
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