Berliner Zeitung 07.11.2006

Vom Glück, eine Zisterne zu haben

Alojz Buzuks Familie bekommt Wasser. Das verdanken die bosnischen Flüchtlinge Bärbel Bohley und deutschen Spenden

07.11.2006

Renate Oschlies

DOMANOVICI. Alojz strahlt, ach was, er hebt fast ab vor Glück. Ein ums andere Mal umrundet er seine neue Zisterne, deren Betonabdeckung gerade fertig geworden ist. Unscheinbar ragt die gut vier mal vier Meter große graue Betonplatte aus dem Boden. Für Alojz Buzuk und seine Familie bedeutet diese eigene Zisterne viel: ein Stück Unabhängigkeit und Zivilisation. Da trübt es seine Freude nicht, dass die Dachrinnen, die das Regenwasser in die Zisternen leiten sollen, noch fehlen, die Pumpe noch nicht installiert ist. Alojz, der kleine, schmächtige Mittfünfziger, ist einfach froh.

Das Glück über die fertig gestellte Zisterne lässt ihn träumen: Mit weit ausgebreiteten Armen steht er vor seinem Haus, das eigentlich nicht mehr als ein Rohbau ist. Um das Haus herum wünscht er sich ein "Trottoir" und eine Terrasse und, vielleicht meint das Leben es ja eines Tages noch besser mit ihm, eine "garasch" und ein Auto.

Auch Bärbel Bohley, die deutsche Bürgerrechtlerin, die seit 1998 in Kroatien lebt, strahlt. Alojz' Freude lässt sie die Anstrengungen und bürokratischen Kämpfe vergessen. Bärbel Bohley leitet ein vom deutschen Auswärtigen Amt finanziertes Projekt für Vertriebene aus Zentral-Bosnien, die in der Gemeinde Domanovici in der Herzegowina Zuflucht gefunden haben. Für sie werden die Zisternen gebaut. Hier leben vor allem Flüchtlinge aus Kakanj, Konjic, Vares und anderen Orten im Umkreis von Sarajewo - viele noch immer in Flüchtlingslagern unter elenden Bedingungen, den Langzeitfolgen der ethnischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan.

Diese Vertriebenen, vor allem Katholiken, wollen elf Jahre nach Kriegsende endlich irgendwo bleiben können: in Domanovici. Ihre Versuche, in die Heimat zurückzukehren, sind gescheitert. Ihre Häuser wurden im Krieg völlig zerstört, andere nachträglich niedergebrannt, um ihre Rückkehr zu verhindern. Im Gebiet um Sarajewo leben heute vornehmlich Muslime. Einem Teil der Flüchtlingsfamilien gelang es, die Lager zu verlassen und sich mit Hilfe des kroatischen Staates selbst eine Unterkunft zu bauen. Sie erhielten bis 1998 Baumaterial im Wert von 10 000 Mark. Das reichte für vier Wände. Das Dach mussten sie selbst zahlen und bauen. Auf vielen Häusern in der Umgebung fehlt es bis heute. Das Land stellte die Stadt Capljina zur Verfügung.

Es ist schlechtes Land, auf dem die Vertriebenen bauen, weit außerhalb von Capljina, von wo aus Domanovici verwaltet wird. Der Boden besteht aus Felsbrocken und etwas roter Erde. Domanovici - übersetzt heißt das einfach "Neue Häuser", ein treffender Name für das Satellitendorf. Es gibt keine Straßen, keine Wasserleitungen. Der Mangel an Trinkwasser ist ein existenzielles Problem. Die Gruben für die Zisternen müssen mit Dynamit aus dem steinigen Boden gesprengt werden.

Mitten in dieser Landschaft steht nun Alojz Buzuk und träumt. Bärbel Bohley ist es nur recht. "Wer träumt, hat Hoffnung", sagt sie. Die Menschen dagegen, die elf Jahre nach Kriegsende noch immer in den zwei Flüchtlingslagern um Capljina leben, hätten ihre Erwartungen auf ein anderes, besseres Leben vielfach begraben.

Alojz, seine Frau Hada und die drei Kinder wurden im Krieg aus Konjic vertrieben. Die Familie lebte zunächst in einem der Flüchtlingslager, vor sechs Jahren zog sie in den Rohbau. Es gibt noch immer keinen Putz an den Wänden und keine Fußböden und keine Möbel und kein Wasser. Hada und der älteste Sohn Bernard helfen gerade in Kroatien bei der Weinernte, um etwas Geld zum Leben zu verdienen. Wie die meisten Neuangesiedelten in Domanovici hat die Familie kein Einkommen, keine Krankenversicherung, keine soziale Unterstützung. Die Menschen, oft Großfamilien, leben von Tag zu Tag, ernähren sich von dem Gemüse, das auf dem kargen Boden hinter dem Haus wächst, einem Schwein, einer Ziege, einem illegalen Gelegenheitsjob in der Stadt, von sporadischen Spenden.

Bärbel Bohley kennt die Probleme der Flüchtlinge und die Schwierigkeiten zu helfen. Von 1996 bis 1999 arbeitete sie im Büro des Hohen Repräsentanten der internationalen Staatengemeinschaft in Sarajewo und organisierte dort den Bau von 3 200 Dächern für kriegsbeschädigte Häuser. 1999 zog sie mit ihrem Mann Dragan Lukic, den sie in Sarajewo kennenlernte, in ein Dorf nahe Split an der kroatischen Adriaküste. Eine frühere Mitarbeiterin berichtete ihr von der Situation der Flüchtlinge in Domanovici. Die diplomierte Malerin las Fachliteratur über den Zisternenbau, holte Angebote für Wasseraufbereitungsanlagen, Preise für den Spezialbeton bei Baufirmen in der Region ein. Das Auswärtige Amt in Berlin übernahm die Kosten für 28 Zisternen in Domanovici.

Zusammen mit ihrem Mann Dragan Lukic wählte sie die Familien aus, die eine Zisterne erhalten sollten: große Familien, die beim Bau mithelfen können. Auch Familien, deren Haus noch gar kein Dach hat, sollten ein Wasserdepot bekommen. So wollte es Bärbel Bohley. Unsinn, sagte ein Freund. Wo sollen die das Wasser denn auffangen? "Das sind die Ärmsten, sie haben nicht einmal Geld für ein Dach und würden sonst nie zu eigenem Trinkwasser kommen", war Bärbel Bohleys Argument. "Ein Dach wird sich finden."

Es gab andere Schwierigkeiten. Einer der Bauleute, die den Beton für die Zisternen gossen, verlangte Beton für die eigene Terrasse. Bärbel Bohley lehnte ab, selbst als der Mann wütend drohte, dann werde er jemanden in einer Zisterne einbetonieren. Der Bürgermeister von Chapljina setzte sie unter Druck. Er wollte, dass sie andere Firmen beauftrage. Durch Korruption sind in Bosnien massenhaft Hilfsgelder versickert, weiß Bärbel Bohley. Auch sein Ansinnen wehrte sie ab. Worauf der Bürgermeister das in Aussicht gestellte Land für den Bau von Wohnungen für behinderte, traumatisierte Flüchtlinge verweigerte, einem weiteren Projekt, das Bärbel Bohley vorschwebt.

Jetzt sind die ersten 28 Zisternen - pünktlich vor dem Winter mit seinen Regenfällen - fast fertig. Seit Wochen sind Bärbel Bohley, ihr Mann und der bosnische Helfer Danko Moro fast täglich auf den Baustellen unterwegs, kontrollieren die Arbeiten, sprechen mit den Menschen. Eine junge Frau vom anderen Ende der Siedlung kommt auf Bärbel Bohley zu, die inzwischen fließend serbokroatisch spricht. Die Frau wirkt verstört, weint, zittert, trägt ein kleines Mädchen auf dem Arm. Von der Deutschen erhofft sie Hilfe, es hat sich herumgesprochen, dass sie hilft, unbürokratisch. Sie führt uns zu ihrem Haus. Seit vier Jahren wohne sie mit ihrem Mann und dem Kind in dem Rohbau. Es gibt kein Wasser, in den Fensteröffnungen fehlt das Glas, im Haus hat sich ein fürchterlicher Gestank festgesetzt, ein Herd steht vor der Tür. Eine Flüchtlingsfamilie von tausenden, vergessen in einem Land mitten in Europa, in dem vor elf Jahren ein irrsinniger Krieg endete.

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Seestern e. V. hilft in Kroatien
Bärbel Bohley gründete 2001 zusammen mit früheren DDR-Oppositionellen wie Katja Havemann und Ralf Hirsch einen gemeinnützigen Verein, den "Seestern e. V." Sie organisiert seitdem jeden Sommer Ferienaufenthalte für kriegstraumatisierte Kinder und Jugendliche in Celina an der kroatischen Küste.
Ein Nachfolge-Projekt für 70 weitere Zisternen finanzieren die GTZ und das Entwicklungshilfeministerium in Berlin. Für Hilfsprojekte hat "Seestern e.V". ein Spendenkonto: Seestern e.V. Berlin, Ralf Hirsch, Konto-Nr. 101 822 9036, BLZ 100 900 00.
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Karte: Bosnien und Herzegowina
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"Ohne Hilfe kommen die Flüchtlinge aus den Lagern nie mehr heraus." Bärbel Bohley