Interview

 

Akademische Blätter - 09. November 2009

Um Hoffnung kämpfen

Ein Gespräch mit Bärbel Bohley über ihre Erfahrungen mit der DDR-Staatssicherheit, die zwielichtige Rolle von Gregor Gysi und ihre Freundschaft mit Petra Kelly.

AK-Blätter: In diesem Jahr feiern wir 20 Jahre Mauerfall und 19 Jahre Deutsche Wiedervereinigung. Für viele sind Sie eine der Symbolfiguren der friedlichen Revolution in der DDR. Sind Sie stolz auf sich und ihren Beitrag zum Fall der Mauer?

Bohley: Stolz ist das falsche Wort. Ich bin einfach nur froh, dass sich die Dinge so entwickelt haben wie sie sich entwickelt haben. Ich freue mich über den Gewinn an Freiheit und Demokratie. Wir haben im Herbst 1989 einfach die Möglichkeit ergriffen, die sich uns geboten hat.

AK-Blätter: Immerhin wurden Sie für Ihre Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung mit dem Bundesverdienstkreuz (1994) und dem Nationalpreis (2000) ausgezeichnet.

Bohley: Diese Auszeichnungen habe ich stellvertretend für viele Menschen entgegengenommen die im Herbst 89 gegen das SED-Regime aufbegehrten. Ohne diese vielen mutigen Menschen auf den Straßen und Plätzen wäre die Mauer nicht gefallen. Alle, die ihre Angst überwunden haben, hätten eine solche Auszeichnung verdient.

AK-Blätter: Sie sind 1945 kurz nach Kriegsende in Berlin geboren. Bis zum Fall der Mauer lebten und arbeiteten Sie in der DDR. Da Sie sich dem System nicht unterordnen wollten, gerieten Sie wiederholt in Konflikt mit der Staatssicherheit. 1983 wurden Sie zusammen mit Ulrike Poppe von den „Frauen für den Frieden“ das erste Mal verhaftet. Was war der Anlass für Ihre Verhaftung?

Bohley: Wir haben damals die Gruppe „Frauen für den Frieden“ gegründet, weil es ein neues Wehrdienstgesetz in der DDR geben sollte, wonach Frauen auch zum Wehrdienst einberufen werden sollten. Wir waren eine Gruppe von Frauen, die sich außerhalb der Kirche gegründet hatte und nicht nur unter dem Dach der Kirche agiert hat. Zu dieser Zeit waren politische Äußerungen nur im Schutzraum der Kirchen bis zu einem gewissen Grad möglich. Außerhalb der Kirchen wurden politische Zusammenschlüsse sofort als staatsfeindliche Aktivität eingestuft. Nach dem Nato-Doppelbeschluss ging man verstärkt gegen Leute vor, die für Gewaltfreiheit und einen Abbau des Militärpotentials eintraten. Da wir erklärte Pazifisten waren und dies auch öffentlich kundtaten, wurden Ulrike Poppe und ich zu Staatsfeinden erklärt und verhaftet. Nach sechswöchiger Haft sind wir auf internationalen Protest wieder freigekommen. Petra Kelly hat sich damals besonders für unsere Freilassung eingesetzt. Dafür bin ich ihr heute noch dankbar. Sie war ja auch Mitbegründerin der Grünen und gehörte zu den ersten Grünen im Bundestag. Die waren noch von ganz anderem Kaliber als die heutigen Grünen (lacht).

Ja, wir waren auf einer Wellenlänge. „Um Hoffnung kämpfen“, der Titel eines ihrer Bücher, war unser Motto. Es tut mir leid, dass sie heute auch in ihrer eigenen Partei nahezu in Vergessenheit geraten ist.

AK-Blätter: Wie ist der Kontakt zwischen Ihnen und Petra Kelly zu Stande gekommen?

Bohley: Im Mai 1983 fand in West-Berlin eine Konferenz der Grünen statt. Fünf Bundestagsabgeordnete der Grünen, unter ihnen Petra Kelly und Gert Bastian, sind nach Ost-Berlin gefahren und haben auf dem Alexanderplatz ein Transparent „Schwerter zu Pflugscharen“ entrollt. Da die SED die Grünen als Verbündete für ihre damalige Friedenspolitik brauchte, wurden sie daraufhin von Erich Honecker zu einem Gespräch eingeladen. Ich habe einem West-Journalisten einen Brief an Petra mitgegeben, in dem ich sie eingeladen habe, unsere Frauengruppe in Ost-Berlin zu besuchen. Es kam dann zu mehr als 20 Treffen mit dem Kreis um Petra Kelly in Ost-Berlin. So hat sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelt. Sie war eine der ganz Wenigen aus dem Westen, die die Bürgerrechtsbewegung konsequent unterstützt hat und die sich dafür stark gemacht hat, dass in der DDR Menschenrechtsfragen auf die Tagesordnung kamen.

AK-Blätter: Es fällt auf, dass vielfältige Kontakte der Grünen zu DDR-Bürgerrechtlern bestanden, während sich CDU und SPD eher reserviert gegenüber der Opposition verhielten. Wie erklären Sie sich die Distanz der großen Volksparteien der Bundesrepublik zur DDR-Bürgerrechtsbewegung?

Bohley: Als Erich Honecker 1987 die Bundesrepublik besuchte, hat die Junge Union darauf gedrängt, auch ein par DDR-Bürgerrechtler einzuladen. Das wurde von der CDU verhindert, weil sie diese Kontakte ganz einfach nicht wollte. Der einzige wirkliche Kontakt zur SPD vor 1989 war der zu Gert Weisskirchen. Wir waren uns mit ihm einig, dass man die Frontstellung zwischen Ost und West aufbrechen muss. Für dieses Anliegen hat man in den großen Parteien leider wenig Leute gefunden; die wollten an der Situation nichts ändern. Warum hat Strauß wohl noch 1983 einen Milliardenkredit an den Osten vergeben? Ohne diese Finanzspritze wäre die DDR vermutlich viel früher kollabiert und es wäre nicht ganz so viel Schaden entstanden.

AK-Blätter: 1988 wurden Sie das zweite Mal verhaftet im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Demonstration zum Jahrestag der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ihre Verhaftung führte zu einem Proteststurm im In- und Ausland. Namhafte Politiker, Bürger und Intellektuelle forderten Ihre Freilassung. Haben Sie im Gefängnis etwas von der Solidaritätswelle mitbekommen?

Bohley: Direkt habe ich davon nichts mitbekommen. Aber ich wusste, dass sich die Leute für unsere Freilassung einsetzen würden. Übrigens bin ich nicht verhaftet worden weil ich an der Demonstration teilgenommen habe. Da waren vor allem Leute, die aus der DDR ausreisen wollten. Mehr als 100 Personen sind damals verhaftet worden. Mein „Vergehen“ war, dass ich ein Kontakttelefon eingerichtet habe für Verwandte und Angehörige der Verhafteten und ihre Anfragen an den Rechtsanwalt Wolfgang Schnur weitergeleitet habe der sich weiter um sie kümmern sollte. Außerdem habe ich diese Informationen auch an Westjournalisten weitergegeben. Das wurde mir zum Verhängnis.

AK-Blätter: Gregor Gysi und der später als IM enttarnte Wolfgang Schnur waren Ihre Rechtsanwälte.

Bohley: Ja, beide waren IM und beide waren meine Rechtsanwälte. Gregor Gysi war IM „Notar“, Wolfgang Schnur war IM „Torsten“.

AK-Blätter: Gysi hat sich gerichtlich gegen eine solche Behauptung verwahrt.

Bohley: Ach wissen sie, Gysi ist nicht nur ein gewiefter Rechtsanwalt sondern auch ein ziemlich windiger Hund. Für mich jedenfalls ist klar, dass er IM war. Wer die Rechtssituation in der DDR gekannt hat, weiß, dass es keine unabhängigen Rechtsanwälte gab, vor allem wenn sie noch so genannte Staatsfeinde vertraten. Er tut immer so als ob er ein freier Rechtsanwalt war, aber das war in der DDR gar nicht möglich. Zu dieser Behauptung werde ich auch weiterhin stehen. Mit meinen nun 64 Jahren lasse ich mir meine Freiheit nicht mehr nehmen.

AK-Blätter: Warum konnte man ihm dann seine IM-Tätigkeit nicht nachweisen?

Bohley: Auch wenn keine Erklärung gefunden wurde, dass er als IM für die Stasi arbeitet, ändert das nichts daran, dass er ein Informant war und in seiner Parteifunktion der Staatssicherheit berichtete. Da kann er nun hundertmal sagen, er war das nicht. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf den Friedenskämpfer Gysi, der heute einen sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordert, dass er damals, als die Russen in Afghanistan waren, mit keinem Wort den Abzug der Russen gefordert hat. Leute die damals den Wehrdienst verweigerten haben, mussten ihre friedliche Gesinnung teuer in Stasi-Gefängnissen bezahlen. Gysi ist und bleibt ein Demagoge. An seiner Stelle würde ich in mich gehen und einfach mal die Klappe halten!

AK-Blätter: Nach sechswöchiger Einzelhaft in Hohenschönhausen wurden Sie gemeinsam mit Ihrem damaligen Lebensgefährten Werner Fischer über die Bundesrepublik nach England abgeschoben. Waren Sie erleichtert? Ihnen drohte eine Gefängnisstrafe bis zu 12 Jahren wegen „landesverrätersicher Verbindungsaufnahme“.

Bohley: Erleichtert war ich nicht, ich wollte ja in der DDR bleiben. Die DDR hatte sich durch unsere Verhaftung in eine Lage hineinmanövriert, aus der sie nicht mehr so leicht herauskam. Es gab zwei Strömungen im Staatsapparat. Die eine wollte hart durchgreifen, die andere war zu moderaten Veränderungen bereit. Ich habe zu dieser Zeit nicht mehr geglaubt, dass die DDR Interesse an großen politischen Prozessen hat. Zwischen den innerparteilichen Querelen wollte ich nicht zerrieben werden. Damals habe ich wirkliche Angst bekommen, was sie mit uns machen werden.

Vom Gefängnis in Hohenschönhausen sind wir immer mit einer grünen Minna in die Magdalenenstraße gefahren worden, wo die Gespräche mit unseren Rechtsanwälten stattfanden. Ich hatte jedes Mal schreckliche Angst und dachte, wenn jetzt der Wagen in den Weißenseer See fährt...Schließlich wurden wir über die Bundesrepublik nach England abgeschoben. Nach einem halben Jahr durften wir wieder in die DDR einreisen. Soviel ich weiß, waren wir die Ersten und Einzigen die nach ihrer Abschiebung ins westliche Ausland wieder in die DDR reingelassen wurden. Mein Sohn, der damals noch in der Ausbildung war, begleitet mich anfangs und wollte nach 14 Tagen zurück, um seine Ausbildung fortzusetzen. Er durfte nicht mehr in die DDR einreisen. Erst nach einem halben Jahr konnte er mit mir zurück.

AK-Blätter: Am 09. September 1989 gründeten Sie gemeinsam mit Jens Reich und Rolf Henrich das „Neue Forum“. Die 30 Erstunterzeichner strebten mit dem „Aufruf 89 – Neues Forum“ eine pluralistische Sammlungsbewegung an, die nicht auf eine radikale Umwälzung sondern auf Reformen im bestehenden System abzielte. Dabei setzten sie auf ein pragmatisches Reformprogramm ohne ideologischen Überbau. War deshalb die Resonanz in der Bevölkerung so groß?

Bohley: Ja, ich glaube das war einer der Gründe. Jeder sollte sich durch unseren Aufruf angesprochen fühlen. Bis Oktober 1989 haben mehr als 200 000 Leute unterschrieben. Zu dieser Zeit hatten sich schon Tausende in Ungarn und in der Botschaft in Prag versammelt. Auch die Menschen die hier geblieben sind spürten, dass die Zeit reif war für Veränderungen. Wir waren der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte.

AK-Blätter: Gemeinsam mit Toni Krahl von der Band „City“ und 50 weiteren Künstlern verabschiedeten Sie kurze Zeit später eine Erklärung, in der es bezugnehmend auf den Aufruf „Aufbruch 89 – Neues Forum“ heißt: „Es geht nicht um Reformen die den Sozialismus abschaffen, sondern um Reformen die ihn weiterhin in diesem Land möglich machen.“ Wie denken Sie heute über einen „Demokratischer Sozialismus“ als dritten möglichen Weg?

Bohley: Keiner von uns konnte damals auch nur ahnen, dass wir mit der Bürgerrechtsbewegung das ganze System wegfegen würden. Sie werden auch keine Transparente vor dem 09. November finden, auf denen steht „Die Mauer muss weg“. Weder die Politiker noch wir haben geglaubt, dass das Ende der DDR so schnell kommen würde. Unser vorrangiges Ziel war es, die DDR freier und demokratischer zu machen. Dazu gehörte die Beseitigung des Führungsanspruches der SED, die Einhaltung von Menschenrechten, die Herstellung von Meinungs- und Pressefreiheit, eben all das, was zu einer Demokratie gehört. Ja, wir wollten diesen Weg gehen. Wir glaubten eher an einen demokratischen Sozialismus als an den plötzlichen Fall der Mauer.

Was die Wiedervereinigung anbetrifft, muss ich zugeben, da waren uns die Polen und Tschechen einen Schritt voraus. Die haben schon viel früher als wir erkannt, dass die deutsche Wiedervereinigung Europa ein Stück sicherer machen würde. Wir hatten wohl zu wenig Abstand.

AK-Blätter: Steht der Sozialismus nicht im Widerspruch zu Ihrem Freiheitsdenken?

Bohley: Für mich war das kein Widerspruch. Nur weil ich mich mit dem Sozialismus abgefunden hatte, heißt das nicht, dass ich deswegen kein freiheitsliebender Mensche war. Ich habe geglaubt, dass man auch als Sozialist ein freier Mensch sein kann und dass man das System so verändern kann, dass man ungestraft als freier Mensch in ihm leben kann. Jemand der das nicht miterlebt hat, kann das nicht nachvollziehen.

AK-Blätter: Mit dem „Demokratischen Aufbruch“, „Demokratie Jetzt“ und der „Vereinigten Linken“ bildeten sich im Herbst 89 zahlreiche weitere Bürgerrechtsgruppen. Während man sich in der Diagnose der Zustände weitgehend einig war, divergierten die Therapievorstellungen erheblich. Die Forderungen reichten von einer parlamentarischen Demokratie bis zur Etablierung eines „wahren Sozialismus“ und einer strikten Ablehnung der deutschen Einheit. Empfanden Sie die Heterogenität der Bürgerrechtsbewegung als bereichernd oder wurde dadurch die Durchschlagskraft der Opposition gemindert?

Bohley: Man muss wissen, dass die Bürgerrechtsgruppen außerhalb des Neuen Forums sehr klein waren. Manchmal bestanden sie nur aus 30-40 Leuten. Auch ältere Gruppen, wie die bereits 1985 gegründete „Initiative Frieden und Menschenrechte“ sind nicht erheblich gewachsen im Herbst 89. Es war das Neue Forum, das die richtigen Worte gefunden und dadurch enormen Zulauf erfahren hat. Außerdem ist im Herbst 89 ist soviel passiert, dass ich gar nicht die Zeit hatte, auch noch die Programme der anderen Bürgerrechtsgruppen zu lesen (lacht). Ferner muss man bedenken, dass die Opposition über keinerlei moderne Kommunikationsmittel verfügte. Die Wenigsten hatten Telefone, es gab keine Vervielfältigungsapparate und keine Faxgeräte. Erschwerend kam noch hinzu, dass die Gruppen von Stasi-Leuten durchsetzt waren, die die Umgestaltung nach Kräften blockiert haben.

AK-Blätter: Das Gründungsfieber trug erheblich zur Mobilisierung der Gesellschaft bei. Immer mehr Menschen überwanden ihre Angst und artikulierten ihren Protest gegen den Staatsapparat auf den Straßen und Plätzen. Am 09. Oktober demonstrierten etwa 70 000 Menschen nach den Montagsgebeten in Leipzig gegen das SED-Regime. Wie durch ein Wunder blieb alles ruhig. Hat sich am 09. Oktober das Schicksal der Revolution entschieden?

Bohley: Also ich glaube, man kann das fast so sagen. Diese vielen tausend friedlich demonstrierenden Menschen haben ein Zeichen gesetzt. Die anwesenden Journalisten aus dem Westen trugen das ihre dazu bei, dass die Staatsmacht keine Gewalt gegen die Demonstranten einsetzte. Was heute vielfach vergessen wird: Es sind auch viele Leute aus kleineren Dörfern und Städten auf die Straße gegangen. Denken sie nur an Plauen, dort haben bereits am 07. Oktober etwa 20 000 Menschen abseits von der westlichen Medienöffentlichkeit gegen die SED protestiert. Mir kam es vor, als ob die Menschen plötzlich aus einem politischen Tiefschlaf erwachten. Mich haben Leute angerufen und gefragt: Wir wollen demonstrieren, wir haben Kerzen. Frau Bohley, was sollen wir fordern?

AK-Blätter: Am 04. November 1989 versammelten sich noch einmal etwa 200 000 Menschen auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz. Auch Günther Schabowski, Mitglied des SED-Politbüros redete zur versammelten Menge. Er wurde gnadenlos ausgepfiffen. Tat Ihnen der Mann leid?

Bohley: Wieso hätte ich Mitleid haben sollen mit diesem Mann? Ich frage mich bis heute, wie die Rednerliste zustande kam. Wieso durften Leute wie Gregor Gysi und Markus Wolf auf dieser Kundgebung reden? Nicht nur während der Rede von Günther Schabowski, auch bei Markus Wolf haben Tausende gellend gepfiffen. Da ich unmittelbar neben ihm stand, habe ich gesehen, wie seine Hände anfingen zu zittern. Da habe ich zu Jens Reich gesagt: Komm Jens, es ist gelaufen, jetzt können wir ein Bier trinken gehen. Mein Gefühl war: Jetzt ist es geschafft! Das alte System ist an sein Ende gekommen.

AK-Blätter: Sie beschreiben den Herbst 1989 als Zeit der Selbstbefreiung und des Aufbruchs. In welchen Bereichen unserer heutigen Gesellschaft täte ein neuer Aufbruch Not?

Bohley: Ich finde der Aufruf des Neuen Forums hat auch heute noch Gültigkeit. Auch heute scheint mir der Dialog zwischen Staat und Gesellschaft gestört zu sein. Wie kann man die Menschen noch mehr in politische Prozesse mit einbinden? Wie muss sich die Demokratie entwickeln, damit die Menschen sich als Handelnde begreifen können? Leider sind durch die Glückseligkeit beim Mauerfall viele dieser Fragen in den Hintergrund geraten.

AK-Blätter: Überall im Land finden jetzt Feierlichkeiten anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls am 09. November statt. Auch für Sie ein Anlass zum Feiern?

Bohley: Hier in Berlin wird gerade ein riesiges Theater veranstaltet. Am 09. November soll eine Mauer aus Kunststein gebaut und dann eingerissen werden. Und das in einer Stadt, in der eine Koalition regiert aus Leuten die die Mauer gebaut haben und Sozialdemokraten. Ausgerechnet ich werde dann eingeladen um diese künstliche Mauer einzureißen. Es ist entwürdigend. Diese ganzen Feierlichkeiten haben für mich einen bitteren Beigeschmack. Außerdem finde ich es unangebracht, daraus so eine Blase zu machen, dazu haben wir zu viele Probleme.

Das Interview führte Stefan Martin, Redakteur, VDSt Freiberg