Manfred Stolpe
(Berlin, den 18. November 2005)

Erklärung des Bürgerbüros zum Stolpe-Urteil des Verfassungsgerichts
BÜRGERBÜRO e. V.
Verein zur Aufarbeitung von

Folgeschäden der SED-Diktatur

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Presseerklärung
Berlin, den 18. November 2005
Bundesverfassungsgericht verfehlt erneut die
Rechtsgrundlagen des wiedervereinten Deutschlands




Durch ein Urteil vom 25. Oktober 2005 des Bundesverfassungsgerichtes wurde der Verfassungsbeschwerde des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten und derzeitigen Bundesverkehrsministers, Manfred Stolpe, gegen die Bezeichnung als Stasi-Mitarbeiter stattgegeben. Dazu erklärt das Bürgerbüro: Unbestreitbar auf Grund der Aktenlage ist die Registrierung von Manfred Stolpe durch das Ministerium für Staatssicherheit als IMB (=Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindkontakt) „Sekretär“ unter der Nummer IV/1192/64. Umfangreiche Akten dokumentieren 20 Jahre Zusammenarbeit. Stolpe räumte diese für ihn vorteilhaften Kontakte ein. Seit 1992 wird in der Politik, in den Medien, in zeithistorischen Untersuchungen, in den Kirchen kontrovers über die Bewertung dieser bis 1992 strikt geheim gehaltenen Kontakte debattiert. Die Vorwürfe sind bekannt und in Veröffentlichungen zugänglich. Die Kritiker Stolpes, die von der kirchenrechtlichen Illegalität und von der politischen Illegitimität dieser Stasikontakte ausgehen, haben Stolpe deswegen als „IM“ bezeichnet, vulgär den Begriff „Spitzel“ verwendet, oder diese Zusammenarbeit umschreibend „im Dienste der Staatsicherheit“ genannt. Diese Debatte kann vom Bundesverfassungsgericht nicht mehr zurückgeholt werden. Äußerungen, Schriften, Bücher müssten im Orwellschen Ausmaß aus dem Verkehr gezogen werden, das Zitationsrecht eingeschränkt und jede politische Äußerung durchleuchtet werden. Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass im Interesse des Persönlichkeitsrechtes von Stolpe ein sich kritisch Äußernder bei einer künftigen Meinungsäußerung offen legen muss, dass eine gesicherte Tatsachengrundlage für die von ihm aufgestellte Tatsachenbehauptung fehlt. Er könnte also sagen: „Stolpe stand im Dienst der Stasi, aber er bestreitet das.“ Oder er könnte auch erklären: „Stolpe stand im Dienst der Stasi. Aber Lothar Bisky, der selbst mit Stasivorwürfen konfrontiert ist, bestritt dies in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Stolpe-Untersuchungsausschusses im Landtag Brandenburg.“ Diese dem Urteil innewohnende Absurdität rührt aus dem völligen Verkennen der politischen und rechtlichen Grundlagen des wiedervereinten Deutschlands. 1989 fand in der DDR eine friedliche Revolution statt, die die Wiedervereinigung ermöglichte. Der von der ostdeutschen Bevölkerung und der Bürgerbewegung bewirkte Umsturz diente auch der Wiederaufrichtung des Rechtes. Die Bürger sollten durch die Offenlegung der Akten der Diktatur in ihr Persönlichkeitsrecht eingesetzt werden. Die Mitarbeiter der Diktatur sollten aus dem öffentlichen politischen Leben zurücktreten. Aus diesem Willen wuchsen die Stasiunterlagenbehörde und die Debatten um die Stasimitarbeit. Die Verfassungsrichter können offenbar die Erfahrung der Abwesenheit des Rechtes in der Diktatur nicht verstehen. Darum ist ihnen auch die befreiende Erfahrung der Wiederaufrichtung des Rechtes durch die demokratische Revolution verschlossen. Es handelt sich bei diesem Urteil nicht um den ersten Versuch die Ergebnisse der friedlichen Revolution zu revidieren. So hat das Bundesverfassungsgericht die von der ersten frei gewählten Volkskammer beschlossene Rentenkappung der Systemnahen als verfassungswidrig erklärt. Im Prinzip führen diese Schritte dazu, die friedliche Revolution von 1989 und die Wiedervereinigung 1990 als illegal und rechtsstaatswidrig zu erklären. Tatsächlich wurden die politische Logik und das politische Recht der Herrschenden um der Freiheit willen missachtet und gebrochen. Wer aber die Unfreiheit nicht kennt, weiß auch nicht, dass die Freiheit durch politische Aktionen den Diktatoren abgetrotzt werden muss. Die Rechtsprechung im vereinten Deutschland sollte darum die politischen Befreiungsakte in die Rechtswirklichkeit integrieren, da sie die Rechtsgrundlagen des neuen Staates konstituierten. Der Rechtstaat benötigt juristisches Personal, das wenigstens einen Bruchteil des Freiheitswillens und der Zivilcourage aufbringt, die 1989 die Verteidiger von Recht von Freiheit an den Tag legten. Bärbel Bohley Dr. Ehrhart Neubert Vorsitzende stellvertretender Vorsitzender.
* in Bearbeitung
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