Bärbel Bohley. Ein
collagiertes Porträtvon
Joachim Walther
Die Frau hat zweifellos Format, doch will ihr Bild in keinen der genormten
Rahmen passen. Die einen halten sie bereits jetzt für eine historische, die
anderen schon immer für eine hysterische Persönlichkeit. Die Freundlichen nennen
sie Mutter der Revolution, ostdeutsche Jeanne d´Arc, Ikone der
Bürgerbewegung, Bärbel la rebelle, Leitfigur, Symbolfigur, Integrationsfigur der
Opposition, Powerfrau, Friedensfrau und loben sie als absolut integer, ungeheuer
couragiert, immer ehrlich, als geradlinig, sensibel und warmherzig. Die
Unfreundlichen nennen sie moralische Rigoristin, fundamentalistische Päpstin,
tragisches Trotzköpfchen, Heulsuse, Xanthippe, Michaela Kohlhaas, Moraltante und
beschimpfen sie als realitätsfremd, elitär und weinerlich.
Ihre öffentlichen Abbilder changieren im Wechsel der Zeiten und Zeitungen, und
es ist, als ergäben die, in eins gepreßt, ein Hologramm, das, jeweils nach
rechts oder links gekippt, die Legende einer sanften Retterin oder aber einer
rasenden Rächerin zeigt. Oktober 1989:
Die Malerin, in deren Werk nicht die Landschaft, sondern der Mensch die
beherrschende Rolle spielt, fühlt sich nicht als Politikerin. Doch ihre immer
wieder bewiesene Bereitschaft, für andere Menschen dazusein, ihnen beizustehen
und zu helfen, verbunden mit der Fähigkeit und dem Mut, die eigenen
Überzeugungen mit Beredsamkeit und Kraft offen zu vertreten, dabei aber auch
anderen zuhören, auf sie hören zu können, hat sie in den letzten zehn Jahren
immer mehr in die Rolle einer „Sprecherin der zum Schweigen Gebrachten“ werden
lassen.
Januar 1998:
Trotz ihrer Kontaktfähigkeit umgibt sie eine Art von Distanz, die aus der
Unduldsamkeit kommt, eine leichte Genervtheit. Wenn ihr eine dankbare Frau über
das Gesicht streicht, lehnt sie sich instinktiv zurück. Wenn ein Fernsehteam
noch eine Einstellung will, wehrt sie brüsk ab.
Selbst ihre Augen haben gegensätzliche Deutungen erfahren, ein Journalist
beschreibt sie als verheult, obwohl sie es nicht sind, ein anderer sieht darin
den Ausdruck von Scheu und Melancholie. So sieht jeder, was er will. Doch hat
selbst der extrem unfreundliche Blick ihr eine Eigenschaft nie abgesprochen: den
Mut, gegen den Strom zu schwimmen, trage der auch furchterregende Namen wie
Parteiführung, Staatssicherheit, Status quo oder Zeitgeist.
Geboren im Mai 1945, dem Endmonat der ersten deutschen Diktatur im 20.
Jahrhundert, wuchs sie in der berliner Trümmerlandschaft nahe Reichstag und
Reichskanzlei auf - und hinein in die zweite deutsche Diktatur, die auch eine
Erziehungsdiktatur war.
In meinen Zeugnissen stand ´Bärbel ist bockig`. In einer Gesellschaft, in der
nur Anpassung verlangt wird, tut ein bißchen Trotz ganz gut.
Schule, Hochschule, Diplom: Mitte der siebziger Jahre war sie Malerin. Ihre
Zeichnungen, Collagen und Bilder zeigten zumeist verloren wirkende Menschen, die
in leeren Räumen auf die permanent versprochene bessere Zukunft zu warten
schienen.
Die Aktdarstellungen der Bärbel Bohley leben aus konsequenter Innerlichkeit,
manchmal drängen sie in diesen schutzspendenden Schoß zurück. Ihre
Gebärdensprache artikuliert dann Schwermut, auch Trauer. Hinter der Suche nach
Harmonie und klassischer Ausgeglichenheit wird aber auch die innere Spannung und
Anstrengung spürbar, die solches Bemühen abverlangt.
Wie jeder kreative DDR-Mensch schrammte sie sich bald die Stirn an der
ideologischen Borniertheit des Systems, stieß bei jedem selbstbestimmten Schritt
an dessen enge Grenzen, gab jedoch nicht auf und ging trotz der allerorts
eingerammten Warntafeln weiter. Anfang der achtziger Jahre begann ihre
praktische politische Phase. Mit anderen Frauen gründete sie die Initiative
„Frauen für den Frieden“: weibliche Wehrdienstverweigerer, die bald schon zur
Keimzelle der von Staat und Kirche unabhängigen Friedensbewegung in der DDR
werden sollten. Das rief umgehend die Staatssicherheit auf den Plan, sie gab den
Frauen den Codenamen „Wespen“: denn die produzierten keinen süßen Honig, die
sirrten und stachen. Bärbel Bohley bekam im Mai 1982 überdies ihren eigenen
Operativen Vorgang, der hieß schlicht „Bohle“. Von nun an listete die Stasi bis
1989 akribisch alle Vergehen auf, setzte ihre Spitzel auf „Bohle“ an (in sieben
Jahren schwoll deren Zahl auf cirka 80: von Sascha Anderson bis Rechtsanwalt
Schnur) und legte die übrigen üblichen Maßnahmen fest: Postkontrolle,
Wanzeneinbau, Telefonüberwachung. Einem der Offiziere war das jedoch nicht
genug, er schrieb von Hand unter den Maßnahmeplan vom Juni 1982:
Ansatzpunkte im Wohnbereich und an der Schule des Sohnes finden für Vorwürfe
asozial zu leben, Kinderverwahrlosung zu betreiben und HWG-Person zu sein.
HWG hieß: häufig wechselnder Geschlechtsverkehr. Es ging den poststalinistischen
und zudem patriarchalisch-piefigen Politpolizisten nicht allein darum, ein
sogenanntes negativ-feindliches Element auszuschalten, sondern dieses
begriffliche Neutrum als Frau zu definieren und zu diskreditieren. Nachdem die
„Frauen für den Frieden“ Kontakte zu den bundesdeutschen GRÜNEN und den
Friedensfrauen im britischen Greenham Common aufgenommen hatten und zudem eine
Eingabe mit - die Genossen zählten genau und namentlich - 125 Unterschriften an
Honecker verfaßt hatten, schlug die Stasi zu. Bärbel Bohley schien es vorab
geahnt zu haben, sie schrieb Mitte November 1983 einen „Brief an ihre Freunde“:
Ich schreibe dies in dem Gefühl, daß ich bald verhaftet werde.[...] Es ist
ein Irrtum der Staatssicherheit zu glauben, daß es in der Friedensbewegung
„Rädelsführer“ gibt, die man nur ins Gefängnis stecken muß, um Ruhe vor dem
Frieden zu haben. Immer mehr Menschen wollen nicht mehr im Schatten von Raketen
leben, wollen sich nicht mehr betrügen lassen [...] Man kann nicht alle
einsperren.
Honeckers Häscher klingelten im Morgengrauen des Dezember. Ermittlungsverfahren
mit U-Haft wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“. Nach sechs
Wochen kam sie dank internationaler Proteste wieder frei. Die Genossen hofften,
daß die massive Einschüchterung heilsam nachwirken möge, doch täuschten sie sich
da gewaltig in der Frau, die an ihren Träumen festhielt und abermals einen
Schritt weiterging. Mit anderen DDR-Oppositionellen gründete sie 1985 in
Ostberlin die „Initiative für Frieden und Menschenrechte“. Frieden und
Menschenrechte als Einheit zu denken, bedeutete damals - und auch heute in der
historischen Retrospektive - eine bewunderswerte Klarsicht und Konsequenz
gegenüber der ideologisch einäugig blinden Friedensbewegung von Honecker über
Hermlin und der DKP-dominierten linken Friedensbewegung in der Bundesrepublik
bis hin zu den westeuropäischen „Generalen für den Frieden“. Die
Staatssicherheit notierte:
Im Berichtszeitraum ist erkennbar, daß die Bohley ihre feindlich-negativen
Handlungen aktiviert und vor allem auf die sogenannte Menschenrechtsproblematik
ausgerichtet hat. Sie ist aggressiver und in ihrer Zielstellung eindeutig
konterrevolutionär geworden. [...] Sie steigert sich zunehmend in radikale,
Konfrontation suchende Haltungen, die von Haß auf die gesellschaftlichen
Verhältnisse in der DDR getragen sind. Im Interesse der Durchsetzung ihrer
antisozialistischen Ziele und dem Bestreben der eigenen Profilierung zeigt sie
weitestgehend Bereitschaft, sich zum feindlichen Stützpunkt aufbauen zu lassen.
Die Beobachtete und Bearbeitete wunderte sich wie viele andere auch über die
Wucht und Wut der Nachstellungen.
Ich bin eigentlich mehr ein friedlicher Typ. Ich weiß überhaupt nicht, warum die
Mächtigen solch eine Wut auf mich haben.
Die Mächtigen wußten es schon, sie sahen die Gefahr - weniger für den Frieden
als für ihre usurpierte Macht.
Neben Kontakten zu antikommunistischen Führungskräften der Partei der Grünen in
der BRD werden verstärkt Möglichkeiten des Polittourismus in die Aktivitäten
einbezogen. [...] Während einer am 21.12.1985 erfolgten Einreise der Mitglieder
des Bundestages der BRD Bastian, Gerd und Kelly, Petra kam es zu einem
Zusammentreffen mit mehreren Exponenten politischer Untergrundtätigkeit, unter
ihnen Bohley, Bärbel. Inhaltlich war die Zusammenkunft ausgerichtet auf
Abstimmungen zur Bildung eines sogenannten Komitees für Freizügigkeit und
Zusammenarbeit in Europa (KFZE), einem Instrument zur internationalen
Diskreditierung der DDR und anderer sozialistischer Staaten.
Was der bearbeitende Stasi-Major Ludewig 1987 zu „Bohle“ schrieb, klingt fast
nach ein wenig Respekt:
Die zu ihr aufgebauten Erwartungshaltungen lassen sie als eine Exponentin PUT
erscheinen. Unwesentlich sind dabei die von ihr eingebrachten Tatbeiträge, als
vielmehr ihr Name, wie der einer Symbolfigur. Bohley hat unter den Hauptakteuren
PUT eine Vertrauensstellung. Von nahezu allen Aktivitäten erhält sie Kenntnis
beziehungsweise wird direkt eingebunden.
PUT war das Stasi-Kürzel für: Politische Untergrundtätigkeit. Die Schraube wurde
weiter angezogen, Zersetzungsmaßnahmen beschlossen wie Erschütterung ihrer
Glaubwürdigkeit, zunehmende zeitliche Belastung durch zeitaufwendige, jedoch
unpolitische Aufgaben, vorgeschlagen war eine Auftragsvergabe zur
Bauzaunbemalung.
Genutzt hat letztlich alles nichts. Die Erosion des Ostblockes insgesamt schritt
weiter fort. Die führenden Altgenossen in ihren rostroten Rüstungen waren zwar
ökonomisch und geistig am Ende, doch von der Macht wollten sie nicht lassen. Im
Januar 1988 spitzte sich die Lage in der DDR wiederum zu: Einige Dissidenten
hatten die außerordentliche Frechheit besessen, auf dem jährlichen Ritualmarsch
der Politbürokraten zum Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg,
öffentlich Plakate mit einem Luxemburg-Zitat herzuzeigen. Nachdem das
Zentralorgan der Partei die Demonstranten der feindlichen Agententätigkeit
beschuldigt hatte, verhaftete die Staatssicherheit neben anderen auch Bärbel
Bohley. In ihrem Tagebuch beschreibt sie die Verhaftung am 25. Januar 1988.
Um 5 Uhr klingelt es Sturm. Werner geht zur Tür und kommt zurück: „Jetzt sind
sie da.“ [...] Irgend jemand brüllt: „Vorläufige Festnahme! Gegen Sie wird
ermittelt!“ Keine Ausweisung, kein Grund wird genannt. [...] W. wird aufs Bett
geworfen. Vier Typen werfen sich über ihn [...] Wahrscheinlich sind sie aus dem
letzten Stasi-Keller geholt worden, um uns Angst zu machen. Und sie machen
Angst. [...] Immer wieder die Aufforderung, mich anzuziehen. Ich weigere mich.
[...] Mir werden Handschellen angelegt. [...] Ich weigere mich zu laufen, werde
die Treppen hinuntergestoßen und bleibe mit dem Riemen meiner Handtasche am
Geländer hängen, ich ziehe ihn ganz straff und dann schreie ich, so laut ich
kann, um Hilfe. Niemand öffnet die Tür. Aber ich habe das Gefühl, alle stehen
hinter der Tür und hören zu. Vor dem Haus steht ein Auto, und ich werde
hineingestoßen. [...] Der Mann vor mir hat sich zu mir gewendet und hält mich an
den Handschellen nach unten. Er sieht mir voller Haß in die Augen. Ich denke: So
einen Blick hat der Mörder von Popieluszko gehabt. Dann sind wir in
Hohenschönhausen. Vor uns fährt ein rotes Auto durch ein Eisentor, dann wir. Ich
bin wieder da, wo ich vor vier Jahren und einem Tag entlassen wurde. Dann muß
ich mein Nachthemd ausziehen, bekomme einen blauen Trainingsanzug und gelbe
Hausschuhe und werde in meine alte Zelle gebracht.
Parteiführung und Staatssicherheit möchten die lästigen Kritiker loswerden, und
so wurde mit Nötigung und Erpressung und mithilfe kooperierender Rechtsanwälte
und Kirchenmänner die Abschiebung in den Westen lanciert. Die Methode nannte
sich POZW, was Politisch-operatives Zusammenwirken heißt. O-Ton Stasi:
Für die Personen Bohley, Fischer, Templin und Wollenberger wurden im
Zusammenwirken mit Rechtsanwälten und kirchenleitenden Kräften unterschiedlich
befristete Aufenthalte im nichtsozialistischen Währungsgebiet mit
DDR-Reisepässen vereinbart.
Doch die Person Bohley bestand auf ihrer DDR-Bürgerschaft und ihrem Recht, in
die DDR zurückkehren zu können. Woran weder ihre Mitstreiter noch die
Staatssicherheit glaubten, machte sie tatsächlich wahr: Sie kehrte nach einem
halben Jahr Exil in England via Prag in die DDR zurück. Im Sommer 1989 begann
die turbulente Untergangsphase der DDR, und dabei sollte die freiwillige
Rückkehrerin eben wegen ihrer freiwilligen Rückkehr eine bedeutsame Rolle
spielen.
Anfang September 1989 gründete sie zusammen mit Jens Reich, Rolf Henrich, Katja
Havemann und anderen Dissidenten die Bürgerbewegung NEUES FORUM. Der verfaßte
Aufruf „Die Zeit ist reif“ war ein leidenschaftliches Plädoyer für einen
fundamentalen gesellschaftlichen Wandel.
Allen Bestrebungen, denen das Neue Forum Ausdruck und Stimme verleihen will,
liegt der Wunsch nach Gerechtigkeit, Demokratie, Frieden sowie Schutz und
Bewahrung der Natur zugrunde. Es ist dieser Impuls, den wir bei der kommenden
Umgestaltung der Gesellschaft in allen Bereichen lebensvoll erfüllt wissen
wollen. Wir rufen alle Bürger und Bürgerinnen der DDR, die an einer Umgestaltung
unserer Gesellschaft mitwirken wollen, auf, Mitglieder des Neuen Forum zu
werden. Die Zeit ist reif.
Trotz aller realpolitischen Unkenrufe aus West und Ost, der Status quo sei
heilig und die Mauer bliebe auch die nächsten hundert Jahre stehen, war die Zeit
tatsächlich reif: Das Volk, vom selbsternannten Vormund SED vierzig Jahre zum
Mündel degradiert, rebellierte mit Massenflucht und Massendemonstrationen.
Binnen kurzem bekannten sich weit mehr als 200.000 Menschen zum NEUEN FORUM und
Bärbel Bohley avancierte zur Identifikationsfigur des politischen Aufbruchs und
Umbruchs. Die Medien kürten sie zum Ansprechpartner Nummer eins, und sie
schrieb, sprach und organisierte in diesen wilden Wochen so viel, so daß es im
nachhinein scheint, als hätten ihre Tage damals 48 Stunden gehabt. Es war eine
atemberaubende Beschleunigung nach 40 Jahren stillstehender Zeit, und atemlos
waren auch ihre zahlreichen Interviews, Artikel und Appelle:
Ohne Opposition keine Reform / Versuchen, bis an die äußerste Grenze zu gehen /
Wir werden immer mehr / Frank und frei reden / Ein neues Selbstbewußtsein / Wir
wollen hierbleiben und unser Land reformieren / Mein Herz schlägt mir bis zum
Hals
Revolutionäre Hoch-Zeit. Das Volk vermählte sich mit der Minderheit der
Oppositionellen auf der Straße, ein äußerst seltener Glücksfall der Geschichte,
zumal in deutschen Breiten. Die Emotionen wallten hoch, der Druck im Innern der
geschlossenen Gesellschaft stieg, und mit ihm wuchs den volkstümlich gewordenen
Wortführern die historische Verantwortung zu, den Wandel gewaltfrei zu
vollziehen. Der wurden sie gerecht, doch die Geschichte hielt sich nicht mit
Danksagungen auf, sie ging weiter. Als am 9. November 1989 vom Topf der Deckel
flog und die Mauer fiel, begann der Niedergang des NEUEN FORUM und die Demontage
ihrer Protagonisten - eine durchaus tragische, wenn auch nicht unerklärliche
Entwicklung. Ausgerechnet in den Tagen, als sich die Deutschen lachend und
weinend in den Armen lagen, artikulierten einige Vertreter des NEUEN FORUM
öffentlich ihr politisches Bauchgrimmen. Auch Bärbel Bohley.
Ich habe den Schabowski die Reisefreiheit verkünden hören und mir erst einmal
einen großen Schnaps eingeschenkt. Als dann der erste Trabant durch die Mauer
fuhr, bin ich ins Bett gegangen und habe mich selbst für acht Stunden beerdigt.
Politisch kam das einem Harakiri gleich: Ihre nicht unsympathische Ehrlichkeit
entzog ihr die Sympathie der gen Westen aufgebrochenen Ostler. Ein paar Monate
später erklärte sie ihre damaligen Gefühle. Zu spät.
Mir war klar, daß dieser Schritt in die Freiheit ein Schritt weg war von den
Vorstellungen, die ich über die Veränderung dieses Landes hatte. Daß heißt
überhaupt nicht, daß ich gegen eine Maueröffnung war. Das wäre ja Blödsinn
gewesen, wo ich jahrelang gegen dieses anachronistische Ding angekämpft habe.
Aber die Art dieser Maueröffnung, wie sie als letzte Karte der Regierung auf den
Tisch gelegt wurde, habe ich in gewisser Weise auch als Willkürakt empfunden.
Genau so, wie die Regierung eine Mauer errichtet, reißt sie die mal kurz ab.
Eine Zeitlang habe ich mich dagegen gewehrt und wollte das aufhalten. Jetzt weiß
ich, daß ich diese neue Situation annehmen und mit ihr fertig werden muß. Der
Höhenflug, sich einmal in der Mehrheit aufgehoben zu fühlen, war im Herbst
letzten Jahres schnell vorbei. Dann kam der freie Fall, und jetzt habe ich das
Gefühl, langsam wieder auf eigenen Füßen zu stehen.
Sie findet sich wieder in der Minderheit, der ihr vertrauten Rolle. Mit ihr
stieg die Bürgerbewegung ab, die kurzzeitig zur Massenbewegung geworden war: die
Hunderttausende vom Herbst 1989 schrumpften zu einigen Zehntausend im Frühjahr
1990, drei Jahre später waren es nur noch Tausend. Der Träumerei von einem
eigenen Dritten Weg zwischen westlichem Kapitalismus und demokratischen
Sozialismus mochte die Mehrheit nicht mehr folgen. O-Ton Bärbel Bohley:
Das westdeutsche Kapital hat den Krieg erklärt, es fordert die Kapitulation
unseres Landes. Das äußert sich bis hinein in die Sprache. Das Traurige ist, daß
wir die Möglichkeit zu einem eigenen Weg gehabt hätten, und dieser
Gestaltungswille so schnell zusammengebrochen ist.
Eine linke Sternschnuppe mit langem Schweif und eine gewaltige Fehleinschätzung
mit fatalen Folgen. Doch dieses Sprechen und Handeln, und sei es zum eigenen
Nachteil, darf auch als Bohley´scher Vorzug gesehen werden: Im Gegensatz zu
Berufspolitikern, denen die quecksilbrige Zunge bleiern wird bei der Anfechtung,
den kleinsten Fehler zuzugeben, bekennt sie sich zu wenig glücklichen
Entscheidungen, zu ihren Irrtümern und unerfüllten Hoffnungen, ohne einen
Sündenbock zu suchen, und vollzieht ihre Lernprozesse ungeschützt und
öffentlich.
Ich glaube, daß ich manchmal ganz schön naiv bin.
Andere nennen das Politikunfähigkeit. Und meinen damit die subjektive
Ehrlichkeit, die Emotionalität, die nach vollzogener Wende nicht mehr in die
politische Landschaft paßte: Gefragt war nun der Typ des parteigetragenen,
rationalen und eloquenten Politprofis. Bärbel Bohley war dafür nicht
windschnittig genug. Sie hielt fest an ihren gewachsenen Überzeugungen und an
ihrer im Widerstehen geprägten Moral.
Leute wie ich sind nicht für die Politik gemacht, ich bin ein absoluter
Parteifeind. Ich kann diese Zwangsjacken nicht leiden. In jeder Partei hätten
sie mich wahrscheinlich schon längst rausgeschmissen. [...] Ich weiß zwar nicht,
wo es lang geht. Aber ich weiß, wo es nicht lang geht. Ich werde immer
versuchen, die Moral in die Politik hineinzubringen.
Auch als der Streit darum ging, ob das NEUE FORUM Partei werden solle oder
nicht, hielt sie fest an ihrer Sicht.
Der Dissens liegt darin, daß die einen meinen, „wir brauchen Macht“, während die
anderen denken, „wir sind eine Macht - als Bewegung, in der der einzelne
ernstgenommen wird“. Hinter dem Wunsch nach einer Partei steht die Ansicht, das
Volk sei mehrheitlich schafmäßig veranlagt und müsse gelenkt und geleitet werden
von einigen wenigen, die sich die Jacke des Hirten anziehen.
Ihr Abschied von der Illusion des Dritten Weges dauerte Jahre. 1992, nach
Lektüre ihrer Stasi-Akte, schrieb sie:
Lange habe ich geglaubt, daß die DDR zu reformieren gewesen wäre. Erst die
Akteneinsicht hat mich endgültig von diesen Träumen befreit. Ein Staat, der in
immer größerem Maße die schlechten Eigenschaften der Menschen als Grundlage
seines Bestehens braucht, sie über Jahre züchtet und belohnt, kann sich nicht
aus sich selbst heraus erneuern. Das trifft auf jeden Staat zu. Er ist zum
Untergang verurteilt.
Wiewohl noch ein wenig Wehmut beigemischt scheint, schrieb sie 1994 sachlich:
Erst im Herbst 1989 erglänzte noch einmal die Möglichkeit einer anderen,
gerechten Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die den Spagat zwischen den Wünschen
des einzelnen und den Bedürfnissen der Gesellschaft schaffte. Aber diese Utopie
versank sehr schnell im Bermuda-Dreieck der Wirklichkeit von 1989 - dem
ökonomischen und politischen Ruin der DDR, den lockenden Angeboten des Westens
und den zu schwachen eigenen Kräften einer verkrüppelten Gesellschaft.
Und 1995, sarkastisch pointiert:
Wenn es zum Dritten Weg gekommen wäre, dann hätte man mich wahrscheinlich längst
schon nach Sibirien geschickt.
In den wirren Wendezeiten gab es auch eine Phase der Versuchung. Bärbel Bohley
wurde geraten, sich an die Spitze der Bürgerbewegung zu setzen, hernach solle
die Bürgerbewegung die Macht übernehmen, die auf der Straße läge, wo sie nie
lange liegenbleibe, da irgendwer auf jeden Fall zugreifen werde. Doch die Frau
wollte weder das eine noch das andere.
Eine Bürgerbewegung hat keine Spitze und keinen Vorsitzenden. [...] Ich möchte
nicht Macht über andere.
Ein achtbarer Verzicht auf führende Rolle und vakante Macht, und es ehrt die,
die sie sich nicht zur Beute machten, auch wenn das jedem Machtpolitiker
einfältig, ja nachgerade hirnverbrannt erscheinen mag. Zumal andere durchaus
schlau genug waren, zuzugreifen oder sich in günstige Startpositionen zu
schieben: Zu Modrows Zeiten wurden die Schäfchen, die vor kurzem noch zu den
Wölfen zählten, ins Trockene gebracht. Einige flogen später auf, wie der alerte
SPD-und-MfS-Mann Ibrahim Böhme, andere sitzen ihre Vergangenheit noch heute in
gehobener Stellung komfortabel aus. Bärbel Bohleys Gegenmodell war und ist die
Politik von unten. Gegen Parteienproporz, Fraktionsgekungel und Machtkalkül
stellte sie Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung. Und so
kam es, daß diese selbstbewußte, moralisch argumentierende und widerspenstige
Frau keine alte und keine neue Partei sich einverleiben noch sie gar verdauen
konnte. Indes dämmerte ein neuer Streit herauf:
Immer wieder wird uns versichert, daß die Zukunft wichtiger ist als die trübe
Vergangenheit. Mir scheinen das aber alles Leute zu sein, die keine gute
Vergangenheit haben. Während ich meine suche, verstecken sie die ihre in der
Zukunft.
Im September 1990 besetzte sie mit anderen die ehemalige Zentrale der
Staatssicherheit in Ostberlin, um für die Öffnung der dort verbliebenen Akten zu
demonstrieren. Verschwunden und vernichtet war bereits genug, zudem mehrten sich
die pragmatischen Stimmen, die für eine zweite deutsche Verdrängung plädierten,
im Ton versöhnlich und natürlich im Namen der Zukunft. Während sie von drohendem
Mord und Totschlag orakelten, benannte Bärbel Bohley das Ziel der Aufarbeitung
des Vergangenen.
Unser Ziel muß sein, die Wiederkehr totalitärer Strukturen zu verhindern, indem
wir sie aufdecken und untersuchen. Damit der einzelne erkennt, wann, wo und wie
er mitschuldig geworden ist und daß er dafür Verantwortung zu tragen hat.
Noch war die Zeit den Besetzern freundlich, noch wollte eine Mehrheit wissen,
was wer mit ihnen gemacht hatte. So konnte die gesetzlich geregelte Öffnung der
Stasi-Akten durchgesetzt werden.
Am meisten erschüttert die Zerstörung und der Verschleiß menschlicher Gefühle.
Hier sind Verrat, Lüge, Untreue, Heimlichkeit, Hochmut, Überheblichkeit, die
Lust auf Macht und die Kriecherei, die Angst und die Feigheit belohnt worden.
... Die Staatssicherheit war der große, volkseigene Zauberer und machte aus
Unrecht Recht, aus Angst Mut, aus Lüge Wahrheit, aus Betrug Verantwortung, aus
Egoismus Nächstenliebe.
Als Prüfstein für die politische Kultur in Deutschland bezeichnete sie die
Affären um den brandenburgischen SPD-Ministerpräsidenten Stolpe und den
PDS-Bundestagsabgeordneten Gysi, von deren früheren Kontakten zur
Staatssicherheit sich im nachhinein etliche Spuren fanden. Die beiden waren es
auch, die Bärbel Bohley im Sommer 1989 von Prag abgeholt und im Auto in die DDR
zurückgebracht hatten. Zufall? Wie schrieb doch die Staatssicherheit?
...im Zusammenwirken mit Rechtsanwälten und kirchenleitenden Kräften...
Zufällig war Stolpe damals Konsistorialpräsident des Evangelischen Konsistoriums
Berlin-Brandenburg, und Gysi Vorsitzender des DDR-Rechtsanwalt-Kollegiums und -
zufällig - Bohleys Anwalt. Beide beteuern bis heute, niemals IM „Sekretär“
beziehungsweise IM „Notar“ gewesen zu sein. Volksvertreter Gysi spielt
mittlerweile virtuos auf der früher verachteten Klaviatur des bürgerlichen
Rechts und ließ 1993 Bärbel Bohley per Gerichtsbeschluß verbieten, ihn weiter
Stasi-Spitzel zu nennen. Hierauf reagierte die mit frechem Wortwitz, der an die
längst vergangene Aufbruchzeit vom Herbst 1989 erinnerte:
Wenn ich Gysi nicht Stasi-Spitzel nennen darf, nenne ich ihn eben Stasi-Spritzel.
Diese und andere, bittere Erfahrungen waren es gewiß, die sie den jedem
westlichen Demokraten ungeheuerlichen Satz sagen ließ, der jedoch einen
östlichen Wahrheitskern enthält.
Wir wollten Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen.
Der mittlerweile zum Aphorismus geronnene Satz ist alles andere als ausgewogen.
Doch ausgewogen, von Emotionen frei, womöglich wissenschaftlich objektiv war
Bärbel Bohley nie und wird es vermutlich auch nicht werden, es sei denn um den
Preis, nicht mehr sie selbst zu sein.
Als innerdeutsche Grenze und Mauer längst gefallen, uns aber dennoch begrenztes
Denken und eine Mauer im Kopf geblieben waren, überschritt sie wieder eine
ideologisch markierte Grenze. Um ein Bürgerbüro für die Opfer des SED-Unrechtes
einzurichten, traf sie sich mit Rudolf Scharping. Das mochte in traditionell
linkem Verständnis gerade noch angehen. Doch als sie sich auch mit Helmut Kohl
traf, tönte das so rechtgläubige wie linkslastige Geschrei vom Verrat so laut,
als habe sie nicht mit dem Bundeskanzler gesprochen, sondern mit einem
Unberührbaren, ja mit dem Beelzebub persönlich. Sie blieb dabei, sie stand dazu,
auch nach der großen Schelte einiger ihrer früheren Mitstreiter.
Ich habe in den letzten Jahren etwas dazugelernt. Vor fünf Jahren hätte ich es
noch für ausgeschlossen gehalten, mit der CDU punktuell zusammenzuarbeiten. Die
alten Feindbilder interessieren mich nicht mehr. Ich bin im Heute angekommen.
Wer hatte sich da bewegt? Wer war stehengeblieben? Wer verharrte da in seinem
Trotz, der desto kräftiger in eine lauthals verkündete, angebliche eigene
Ost-Identität mündete, je mehr die reale DDR in den Orkus der Geschichte sank?
Früher, als sie abwich vom verordneten Trampelpfad, hieß es: Zersetzt sie! Nun,
da sie abwich von der linken, vermeintlich ewig gültigen Formel, alles, was sich
nicht ausdrücklich links definiere, sei automatisch rechts, hieß es: Verletzt
sie! Das ostdeutsche Satiremagazin „Eulenspiegel“ zielte dabei so tief, daß
zwischen Rinnsteinkante und Straßenniveau kein Blatt mehr paßte: Es zeigte im
Frühjahr 1996 Bärbel Bohley in einer schmuddeligen Fotomontage nackt auf dem
Bundeskanzler liegend, Unterzeile: Kohls Neue - Ist es mehr als Freundschaft?
Satire darf, laut Tucholsky, alles, doch ist ein platter Politporno noch Satire?
Wie dem auch sei, seinen Zweck hatte die Montage erreicht: Die Vorgeführte
fühlte sich verletzt. Und das war nicht die erste Kränkung: Im Frühjahr zuvor
hatte sie die Organisation ausgeschlossen, der sie einst als gelobte
Integrationsfigur gedient hatte, das NEUE FORUM. Als sich die zweifellos
gestandene Ostfrau auch dem hochschwappenden Ost-Trotz verweigerte, wurde für
sie die Luft im Osten dünn. Wer wie sie die Mär von der DDR-Identität in persona
entzaubert, wird flugs zum Nestbeschmutzer, obwohl der Weltwind das als
kuschelig beschworene Nest lange schon vom abgestorbenen Baum geblasen hat.
Wir haben einen geschönten Blick auf uns selbst und auf die Lebensumstände in
der DDR. Die Ghettosituation in der DDR hat die Verzerrungen und Brüche in
unseren Wahrnehmungen begünstigt, für die Menschen im Westen haben dasselbe
Reichtum und Konsum bewirkt. Idealismus, Selbstlosigkeit, Gemeinsinn,
Solidarität waren in der DDR in den achtziger Jahren auch nicht häufiger
anzutreffen als in anderen Ländern. Das, was wir oft mit dem Etikett
„Solidarität“ versehen, war meist nur die wichtigste Regel des
Beschaffungssystems, das sich in jeder Mangelwirtschaft nach dem gleichen Muster
entwickelt: Eine Hand wäscht die andere.
Klare Worte, schmerzhaft für die rückwärtsgewandten Verklärer. Der geistigen
Verbarrikadierung entkam sie Ende 1996, doch war es weniger Flucht als das
Finden einer neuen Aufgabe. Sie ging nach Sarajevo, in die geschundene,
kriegsversehrte Stadt. Aufgewachsen in den Trümmern Deutschlands, ist es wie
eine Heimkehr in vertraute Herausforderungen. War früher der welthistorische
Siegeslauf des Kommunismus unabänderlich festgeschrieben, so hier die
Feindschaft der einst jugoslawischen Völkerschaften, und wie einst scheint es
nun, als könne dies nur ein Wunder ändern. Ein Journalist verglich ihre Arbeit,
den vertriebenen Menschen wieder ihre angestammte Heimat zu geben, mit dem
Versuch, Lämmer aus Cevapcici zu gewinnen. Das für Realisten und Zyniker
Unmögliche, den Verstummten Stimme, den Hoffnungslosen Mut und den Unbehausten
ein Dach über den Kopf zu geben, das ist, was sie in Sarajevo möglich machen
will. In ihrem Bosnien-Tagebuch „Die Dächer sind das wichtigste“ schreibt sie:
Die Zivilisation scheint nur eine dünne Haut zu sein, die jederzeit zerreißen
kann. Völkermord ist überall möglich. Dieser Satz hat in Sarajevo eine neue,
schneidende Klarheit. [...] Wenn ich an die Geschichten denke, die mir die
Menschen in Bosnien erzählt haben, wird mir klar, wie dicht das Gute und das
Böse beieinander liegen. Aber manche Menschen sind wirklich nur böse. Was macht
man mit ihnen? Ich weiß es nicht. Dummheit und Gleichgültigkeit machen es dem
Bösen überall leicht, sich durchzusetzen. Es ist schwer, etwas dagegen zu tun.
Aber man muß es versuchen.
Sie bleibt eine unverbesserliche Weltverbesserin, deren Handlungsort nicht mehr
der Osten Deutschlands ist, sondern die gewandelte, doch noch immer nicht ins
unumkehrbar Friedliche gewendete Welt, die die Grundwerte der Unverbesserlichen
weiter nötig hat. Sie selbst nennt Glaubwürdigkeit, Wahrheit, Liebe, Mitleid,
Hilfsbereitschaft. Hinzu kommt ihre Vision einer auf Gerechtigkeit gebauten,
zivilen Gesellschaft, in der das freie, kreative und mündige Individuum im
Mittelpunkt steht. Seit der Ost-West-Showdown zuende ist, da einer der
Pistoleros senil in den Staub der Geschichte fiel, sind die tieferen Probleme
unserer Welt schärfer sichtbar geworden.
Meine politischen Meinungen, Ziele und Interessen haben sich im Vergleich zur
Vorwendezeit nicht geändert. Ich hätte vor der Wende dasselbe sagen können, und
es wäre richtig gewesen. Lediglich der Ort hat sich geändert. Ich habe früher
gedacht, der Ort könnte die DDR sein, und sage heute, jetzt ist der Ort die
Welt. [...] Gut ist, daß die Probleme sich nicht mehr teilen lassen in die des
Osten und die des Westens, daß sie endlich in ihrer ganzen Größe dastehen. Um
sie zu sehen, muß man beide Augen aufmachen. In Wirklichkeit sind die meisten
immer noch auf dem rechten oder linken Auge blind.
Bärbel Bohley hat sich gewandelt und ist sich dennoch treu geblieben. Standfest
in Bewegung ist sie nicht rechts, nicht links, sondern quer. Ist hochpolitisch,
ohne jemals professionelle Politikerin geworden zu sein. Machtabstinent und doch
keineswegs ohnmächtig gehört sie zu den erfolgreichsten Verlierern der jüngsten
deutschen Geschichte. Sie selbst sieht es so:
Die Weltgeschichte geht nicht nur so, wie es sich ein paar geborene
Seifenbüchsendiplomaten vorstellen. 1989 war eine Stunde, in der sich zähe
Zeitgeschichte verdichtet hat zu einem Augenblick Weltgeschichte. Da sind die
Einzelkämpfer bestätigt worden, die sich den Politiktrends verweigert haben und
ihrem altmodischem Gewissen treu geblieben sind - wie zum Beispiel Havemann,
Koestler, Fricke, Heinz Brandt, Adam Michnik, Vaclav Havel, Sacharow und viele
andere.
Wie beispielsweise Bärbel Bohley, die wesentliche Teile des Besten verkörpert,
was Ostdeutschland in die deutsche Einheit eingebracht hat. Ihr Bild freilich
kann nicht fertig gemalt und gerahmt ins historische Museum gehängt werden, da
sie selbst noch in Bewegung ist. Sie bleibt für Überraschungen gut, man darf
sich über sie vermutlich auch in Zukunft wundern, wiewohl die Zeit der
historisch-politischen Wunder, wie sie Ossip K. Flechtheim definierte, vorerst
vorbei scheint. Das letzte hat es jüngst gegeben, das von 1989, und Bärbel
Bohley war daran nicht unbeteiligt. Weitere derartige Wunder von ihr und der
Geschichte zu erwarten, wäre ein wenig unbescheiden. Und doch wäre beiden zu
wünschen, nicht so bescheiden zu werden, daß sie nicht mehr versuchten, das
unmöglich Scheinende etwas wahrscheinlicher werden zu lassen.
|